Ziegler, Jeanette
Nachname: | Ziegler |
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Vorname: | Jeanette |
abweichender Name: | Silberberg, verw. |
abweichender Vorname: | Jento |
geborene: | Teicher |
Geburtsdatum: | 22. Februar 1894 |
Geburtsort: | Kolomea/Galizien (Österreich-Ungarn, heute Ukraine) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Witwe von Abraham Silberberg (1889-1921)
Ehefrau von Edmund Z.; Mutter von Paul Alexander und Wilhelm Silberberg (1917-1940) |
Karlstr. 8,
Yorckstr. ,
Waldstr. 56,
Hirschstr. 72,
Waldstr. 22,
Steinmetzstr. 19,
Markgrafenstr. 34
später nach Récébédou (Frankreich)
Biographie
Jeanette und Edmund Ziegler, Wilhelm Silberberg
Auch in Erinnerung an den einzig Überlebenden der Familie: Paul Alexander Ziegler
Jeanette Ziegler, geborene Teicher, verwitwete Silberberg, wurde am 22. Februar 1894 in Kolomea in Galizien (Österreich-Ungarn, heute Polen) geboren.
Als kleines Kind kam sie mit ihrer Mutter nach Leipzig. Über ihre Eltern ist nichts weiter bekannt.
1914 zog Jeanette von Leipzig nach Karlsruhe und heiratete hier ihren ersten Ehemann Abraham Silberberg, geboren am 1. April 1889.
In der Herrenstraße 22 hatten sie das Geschäft „Badischer Gummivertrieb“ und sie wohnten in einer großen Wohnung in der Kaiserstraße. 1917 kam Sohn Wilhelm Silberberg in Karlsruhe zur Welt. Am 26. März 1921 starb Jeanettes erster Mann Abraham Silberberg an Gehirnhautentzündung. Er wurde auf dem neuen jüdischen Friedhof in Karlsruhe begraben.
Jeanette Silberberg betrieb das Geschäft alleine weiter. Im Jahr 1923 lernte sie Edmund Ziegler kennen, den sie in diesem Jahr auch heiratete. Die Ehe wurde am 16. August 1923 vor dem Standesamt in Karlsruhe geschlossen.
Am 9. August 1924 kam Sohn Paul Alexander Ziegler in Karlsruhe zur Welt.
Edmund Ziegler war am 28. Mai 1879 in Wien zur Welt gekommen. Mit seinen Eltern zog er „in sehr jungem Alter“ nach München. Dort lebte die Familie lange Zeit. Über seine Eltern ist nichts weiter bekannt, als dass die Mutter Anna und der Vater Wilhelm Ziegler in Wien geboren sind.
In München arbeitete Edmund Ziegler in dem großen Kaufhaus Hermann Tietz. Später war er „Reisender in Möbel“. In seiner Jugend hatte er durch einen Unfall ein Auge verloren. Trotzdem meldete er sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Sanitätskorps, wo er Tragbahrenträger war. Er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und die Rote-Kreuz-Medaille, die er auch stolz an seinem Ausgehanzug trug.
Nach dem Ersten Weltkrieg war er wieder Reisender und kam 1923 geschäftlich nach Karlsruhe. Hier lernte er Jeanette Silberberg kennen, heiratete sie 1923 in Karlsruhe und trat in ihr Geschäft „Badische Gummivertriebe“ mit ein.
Wegen der schlechten Geschäftslage mussten die „Badische Gummivertriebe“ 1930 aufgegeben werden. Jeanette Ziegler arbeitete dann in Karlsruhe als Abteilungsleiterin in der Lebensmittelabteilung im Kaufhaus Hermann Tietz.
Edmund Ziegler betrieb verschiedene Geschäfte von den Wohnungen in der Yorckstraße und später von der Waldstraße 56 aus. Mehrmals musste die Familie umziehen, 1932 bewohnte die Familie in der Hirschstraße 72 eine Wohnung mit 5 Zimmern.
Ende 1932 wurde Jeanette mit einer schweren Rippenfellentzündung und einem Lungenleiden in das Städtische Krankenhaus in Karlsruhe eingewiesen. Im Frühjahr 1933 wurde sie von dort als arbeitsunfähig entlassen.
Auch Edmund lag mit einem Lungenleiden im Städtischen Krankenhaus. Wegen seines jüdischen Glaubens wurde es für ihn immer schwerer, eine Verdienstmöglichkeit zu finden.
Viele Möbel mussten verkauft werden, und die Familie zog wieder in die Waldstraße, diesmal in die Hausnummer 22 in eine kleinere Wohnung.
Dann verwaltete Edmund das Grundstück seines in Frankfurt a.M. wohnenden Bruders, des Kammersängers Benno Ziegler in der Karlstraße 8 und bekam dafür ein monatliches Gehalt von 150,- RM. Sein Bruder Benno war mit einer „arischen“ Ehefrau verheiratet.
Von der Waldstraße zog die Familie in die Steinstraße 19. Dort mussten sie im August 1939 wieder ausziehen, da die Mietgesetzgebung sich gegen Juden verschärft hatte und der Besitzer keine Juden im Haus haben wollte.
Sie fanden Unterkunft in der Markgrafenstraße 34. Dieses sich zuvor im Eigentum eines Juden befindliche Haus wurde zum so genannten Juden-Haus. 1939/40 lebten mehrere jüdische Alleinstehende, Ehepaare und Familien in diesem Haus. Auch Pinkus Teicher, geboren am 3. Juli 1889, der fünf Jahre ältere Bruder von Jeanette geborene Teicher, wohnte mit im Haus. 1939 verzog Pinkus Teicher nach Frankfurt a.M. Er wurde später nach Auschwitz deportiert und ist dort als einer der Wenigen laut Sterbebuch am 7. Mai 1943 umgekommen, war also vor seinem Tod noch als Arbeitssklave im KZ eingesetzt worden.
Am 9. November 1938, am Tage des Judenpogroms, wurden Edmund und sein 21 Jahre alter Stiefsohn Wilhelm von den Nazis weggeschleppt. Als die Nazis Edmund aus der Wohnung in der Steinstraße holten, zeigte er ihnen im Wohnzimmer seine Orden an der Wand und sagte: „Schauen Sie meine Orden an. Ich habe doch meine Pflicht für Deutschland getan.“ Darauf wurde ihm erwidert: „Sie können sich damit den Hintern abwischen.“
Am Abend kam Edmund Ziegler verprügelt wieder nach Hause, Wilhelm dagegen wurde in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Dort wurde er unmenschlich behandelt. Ein Karlsruher Arzt und guter Freund der Familie, Max von Strasser, bemühte sich, Willi aus Dachau freizubekommen.
Im März 1939 klopfte es abends an der Haustür und Willi stand „völlig abgehungert und erschöpft“ davor.
Er hatte einige Jahre zuvor eine Tuberkulose im. Jüdischen Sanatorium in Bad Soden mit Pneumothorax (Lufteintritt in die Brusthöhle und damit Unmöglichkeit der Entfaltung des Lungenflügels) vollkommen ausgeheilt und hatte nun wieder Lungenblutungen. Er erzählte mit traurigem Galgenhumor, dass er bei seiner Ankunft in Dachau dem Lagerarzt von seinen schwachen Lungen berichtet habe. Der Arzt lachte ihn aus und sagte: „Herr Silberberg, steinreiche Leute, die Tuberkulose haben, gehen für teures Geld nach Bayern wegen der frischen Luft. Und Sie kommen mit ihren Beschwerden kostenlos nach Dachau.“ Die folgende Nacht ließ er Willi (November 1938) im Freien an der frischen Luft…“
Willi Silberberg versuchte alles, um aus Deutschland herauszukommen. Seine beachtlichen technischen Kenntnisse machten eine solche Flucht etwas einfacher. Kurz vor Kriegsausbruch, am 22. August 1939, gelang ihm die Ausreise nach England wohin ihm Paul Alexander zwei Tage später nachfolgte.
Jeanette und Edmund Ziegler lebten nun alleine in Karlsruhe. Am 22. Oktober 1940 wurden beide nach Südfrankreich deportiert. Zuerst nach Gurs, dann am 20. März 1941 nach Récébédou, wo Jeanette am 8. April 1941 47-jährig starb. Sie wurde in Portet Sur Garonne beerdigt.
Edmund Ziegler kam am 2. März 1943 von Gurs aus zum Sammellager Drancy und am 6. März 1943 fuhr der Deportationszug zum Konzentrationslager Lublin-Majdanek. Seither ist er verschollen. Es ist möglich, dass er dort ermordet wurde oder noch nach Auschwitz oder Sobibor kam. Von den Judentransporten aus Frankreich in den Jahren 1942/1943 wurden die Männer im Alter von über 40 bis 50 Jahren unmittelbar nach ihrer Ankunft im Lager getötet.
Edmund Ziegler war bei seiner Deportation am 6. März 1943 bereits 63 Jahre alt und es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass er den 15. März 1943 nicht überlebt hat. Sein Todesdatum ist amtlich auf den 31. Dezember 1945 festgelegt.
Nachtrag:
Im Jahr 1987 berichtet Paul Alexander Ziegler in einem Brief nach Karlsruhe über seinen 1917 geborenen Halbbruder Wilhelm Silberberg: „Als ich geboren wurde, war mein Bruder Willi sieben Jahre alt. Für mich war es eine besondere Freude, mit einem ‚großen’ Bruder aufzuwachsen. Mein verstorbener Vater erzog uns beide ohne Unterschied. Seine Liebe zu Willi und mir war gleich herzlich. Willi interessierte sich schon früh für Radios und bastelte mit großem Geschick. Er war bei der Firma Gamber, Diehl & Co in Heidelberg Lehrling zum Radiotechniker. Er wohnte möbliert in Heidelberg und kam an jedem Freitagabend nach Karlsruhe in sein Elternhaus. Auch ich hatte inzwischen mein Interesse an Radiobasteln entdeckt und freute mich daher immer auf die Wochenenden, wenn mir Willi mit seinem Wissen weiterhelfen konnte. Auf diese Weise haben wir viele einfache Radios gebastelt und repariert und konnten von dem dabei ‚verdienten’ Geld unsere Eltern unterstützen.
Dann musste auf Druck der Nazis der jüdische Inhaber der Firma Gamber, Diehl & Co seine Firma verkaufen und auch mein Bruder musste die Firma verlassen, weil er Jude war. Willi kam wieder zu uns zurück nach Karlsruhe.
Willi war 22 Jahre alt und ich 15 Jahre, als wir im August 1939 nach England fliehen konnten; Willi am 22.8. ‚by train and boat’ (mit Zug und Boot) und ich zwei Tage später am 24.8. mit einem Kindertransport.
Bereits eine Woche nach Willis Ankunft dort brach er mit einer starken Lungenblutung zusammen und wurde in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert, von dem aus er in das Tuberkulose-Krankenhaus von Colindale verlegt wurde. Es ging mit ihm gesundheitlich schnell bergab, ein Blutsturz folgte dem nächsten; sein Körpergewicht sank noch weiter, seine Qualen waren furchtbar.
Anfangs hatte ich große Schwierigkeiten, meinen Bruder im Krankenhaus zu besuchen, denn ich war weit entfernt in einem Flüchtlingslager untergebracht und verfügte nicht über das nötige Fahrgeld.
Im Januar 1940 fand ich dann eine Stelle in London und konnte von da an Willi jeden Sonntag im Hospital besuchen. Er magerte mehr und mehr ab und ich litt und weinte mit ihm. Die Londoner Luft und den vielen Nebel vertrug er nicht. Dr. Snell vom Colindale-Hospital bemühte sich, Willi in die Schweiz zu bringen, denn in Holland, Belgien Luxemburg und Frankreich stand der Einmarsch der Nationalsozialisten unmittelbar bevor.
Ich habe während dieser Wochen abends auch im kältesten Winter an die Türen reicher Glaubensgenossen geklopft und um Geld gebettelt, denn für die Fahrt in die Schweiz brauchten wir insgesamt 100 britische Pfund. Diesen Betrag verlangten die Schweizer Behörden als Garantie.
Aber alle meine Anstrengungen waren vergeblich, denn ich brach selber mit einer Tuberkulose zusammen und wurde in ein Londoner Krankenhaus gebracht.
Meinen Bruder sah ich zuletzt im Juni 1940, als ich in ein Sanatorium in Milford Surrey verlegt wurde. Hilfsbereite Menschen fuhren mich mit Auto und Rollstuhl an das Bett meines Bruders, der schon ganz hohl im Gesicht war und an diesem Tag schwere Blutungen hatte. Ich konnte nur seine Hand halten.
Seit diesem Tag habe ich einen großen Hass gegenüber den Menschen, die meinem Bruder dies angetan haben.
Ich habe Willi dann nie mehr gesehen, er litt noch über zwei Monate schreckliche Qualen, bis er am 7.9.1940 im Colindale Hospital in London starb.“
(Sehr betrübt ist Paul Alexander Ziegler darüber, dass der Name seines Bruders Wilhelm Silberberg nicht auf dem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe steht, weil Willi in England und nicht in einem Konzentrationslager verstorben ist. Obwohl Willi von 9. November 1938 bis Anfang 1939 im Konzentrationslager Dachau interniert war und dort unter unmenschlichsten Bedingungen seine ausgeheilte Tuberkulose wieder aufbrach).
Paul-Alexander Ziegler besuchte mehrere nichtjüdische Schulen, einmal war er auch Schüler in der Uhlandschule. Ab 1936 musste zwangsweise die Jüdische Schule besuchen, da jüdische Kinder nicht mehr die gewöhnlichen Volksschulen besuchen durften.
Die so genannte Rassekunde wurde 1935/36 als Pflichtfach an den Schulen eingeführt. Paul erinnert sich mit Dankbarkeit seiner Lehrer Kunzmann und Hoffmann von der Uhlandschule, die ihm gegenüber als Juden „viel Mitleid“ gehabt hätten.
Paul Ziegler erinnert sich, zu Beginn des Rassekundeunterrichts das Klassenzimmer verlassen zu dürfen und Lehrer Kunzmann habe zu ihm gesagt, ,,Paul, ich wollte, dass ich auch aus dem Schulraum hinausgehen könnte; solch einen Sch…dreck euch Kindern zu lehren, ist eine Beleidigung zum Gehirn.“
Paul berichtet weiter, dass seine Familie in jener schrecklichen Zeit viel Hilfsbereitschaft und den Mut von christlichen Freunden erfahren durfte:
- Herr und Frau Diemer, die Besitzer des Radiogeschäftes in der Erbprinzenstraße 2 erlaubten ihm, als jüdischem Jungen alte Radios zu erwerben, die er für ein paar Mark reparieren und verkaufen konnte.
- Dann denkt er an die Arbeiter der Druckerei Badenia im Hinterhaus der Steinstraße 19, die
sich vor ihre Haustüre stellten und verhinderten, dass Jeanette und Paul auch weggeholt wurden mit den Worten: „Lasst doch die arme Frau und ihren Bub in Ruh, den Mann und den ältesten Sohn habt ihr ja schon mitgenommen.“
- Dann denkt er an Frau Essig, die Nachbarin und ihre Tochter, mit der er zusammen Geige spielen lernte.
- Dann wohnte in der Adlerstraße die Familie Bossler, deren Sohn Otto sich trotz des Rassengesetzes mit ihm traf.
- Dann gab es den Schuhmacher Pfaff in der Adlerstraße. Bei ihm saß er stundenlang in seinem Laden und sie unterhielten sich miteinander.
- Ebenfalls in der Adlerstraße war ein italienisches Haus „Casa Italia“. Diese Familie hatte einen Sohn Albert, der genau wie er am Radiobasteln interessiert war. Beide bauten miteinander einen sehr guten einröhrigen Empfänger.
- Herr und Frau Doktor Fischbach in der Schirmerstraße dachten immer an Geburtstagen und Feiertagen an ihn.
Paul Alexander Ziegler schreibt: „Diese guten Erinnerungen zusammen mit einer nicht aussterbenden Liebe zu meiner Geburtsstadt Karlsruhe haben mir über die Jahre geholfen, Versöhnung ins Herz gehen zu lassen, ohne dass das Furchtbare nicht vergessen werden soll.“
Paul Alexander Ziegler lebt heute mit seiner Familie in England, Am 25. März 1950 hat er seine Frau Betty geheiratet, die keine Jüdin ist.
Er sagt: „Dass ich 83 Jahre alt geworden bin, habe ich meiner Frau, ihrer Liebe und Fürsorge zu verdanken.“
(Erika Horn, April 2007)