Bogen, Feige

Nachname: Bogen
Vorname: Feige
geborene: Fisch
Geburtsdatum: 10. September 1884
Geburtsort: Tarnobrzeg (Österreich-Ungarn, heute Polen)
Familienstand: verheiratet
Eltern: David Ichel und Hendel, geb. Schiffmann, F.
Familie: Ehefrau von Naftali B.; Mutter von Chaim Ichel (1906-?)
Adresse:
Brunnenstr. [ehemalige Straße im "Dörfle", nicht mehr existent] 3,
Markgrafenstr. 26,
1940: Schützenstr. 75
Sterbeort:
Belzec (Russland, heute Polen) [?]

Biographie

Naftali, Feige und Chaim Ichel Bogen

Unter den Namen ehemaliger jüdischer Einwohner/innen Karlsruhes während der Zeit der Naziherrschaft, die das Stadtarchiv Karlsruhe seit Jahrzehnten aufbewahrt, fand sich der Name Bogen zunächst nur in einer Einbürgerungsakte aus dem Jahr 1921.1 Weitere Anhaltspunkte ergaben sich aus einem Zeitzeugenbericht, den der gebürtige Karlsruher Leon Meyer über die orthodoxe jüdische Gemeinde in Karlsruhe an das Leo-Baeck-Institut und 1988 auch an das Karlsruher Stadtarchiv gegeben hatte:

„In der Südstadt in der Wielandtstraße wohnte eine fromme Familie namens Bogen. Sie betrieben ein Kolonialwarengeschäft, alle Produkte standen unter rabbinischer Aufsicht. Herr Naphtali Bogen war damals ein älterer Mann. Er hat einen Teil seiner Wohnung als Betsaal eingerichtet. Da in der Südstadt mehrere jüd. Familien lebten, war es für sie ein kürzerer Weg, um zum G'ttesdienst zu gehen.“

Trotz großer Bemühungen ließ sich über das Schicksal von Naftali, Feige und Chaim Ichel Bogen nur wenig recherchieren. Vermutlich wurden alle drei Opfer der NS-Verfolgung, aber dieser Punkt lässt sich nicht anhand von Quellen belegen. In der Hoffnung, dass diese wenigen Angaben einmal weiter vervollständigt werden können, sind sie hier veröffentlicht.

Naftali Bogen wurde am 13. September 1883 im galizischen Tarnów geboren.
Seine Eltern waren Gershon Bogen und Chaja geborene Reiter.
Naftali (betont auf der mittleren Silbe) hatte mindestens vier Schwestern, Reisl Rivka * 1888, Beile * 1900, Sprinze * 1902 (gestorben im selben Jahr) und Sara Malka * 1904.2

Um 1905 heiratete er Feige (Fejga) Fisch nach rabbinischem Recht. Sie war am 10. September 1884 im galizischen Tarnobrzeg geboren worden. Der Vorname „Fejge“ ist aus Fejgel(e) gebildet, jüdisch-deutsch für „(kleiner) Vogel“, lehnübersetzt aus dem gleichbedeutenden hebräischen Vornamen Tsippora.
Ehepaar Bogen hatte einen 1906 in Tarnów geborenen Sohn, Chaim Ichel.

Ende 1912 kam Naftali Bogen nach Trier zu seinem Schwager, Feiges Bruder, dem Kaufmann Robert Fisch. Ein weiterer Schwager, Simon, lebte mit Familie in der Rüppurrer Straße 20 in Karlsruhe (über diese Familie gibt es eine eigene Biografie im Gedenkbuch). 1913 zog Naftali Bogen nach Karlsruhe um. Frau und Kind werden in den Akten nicht genannt, waren aber wohl immer dabei. 1915 wurden Naftali und Feige dort standesamtlich verheiratet.

Naftali Bogen leistete K.u.K.-Militärdienst von 1916 bis November 1918, zuerst beim 1. Infanterieregiment No 57 in Prerau (Mähren), dann beim Landsturm-Wachtbattaillon in Wien.

Bereits 1915 und bis in die 1930er Jahre bewohnte die Familie eine 3-Zimmer-Wohnung in der Wielandtstraße 10, 2. Stock (= 1. OG), gerade über die Straße zur Verwandtschaft in der Rüppurrer Str. 20, wo auch zunächst das Geschäft bestand, die „Rohproduktenhandlung Silberberg & Bogen“. Gehandelt wurde in den frühen Jahren mit „Lumpen, Knochen, Eisen usw.,“3 wie aus seinem Antrag auf Einbürgerung hervorgeht. Zu anderer Zeit auch mit Flaschen und Jutesäcken,4 denn in der Heiratsurkunde von 1915 ist Naftali Bogen als Sackhändler verzeichnet. Dem Einbürgerungsantrag zufolge lebten die Bogens in geordneten Verhältnissen, in bescheidenem Wohlstand. Der Sohn Chaim Ichel erhielt Privatunterricht, damit dürfte die Unterweisung bei einem talmudkundigen Lehrer wie Pessach Pack gemeint sein.
1928 kehrte Naftali Bogens Kompagnon Leib Silberberg mit seiner Frau Esther Katz-Zupnik und ihren Kindern nach Polen zurück.5 In der Folge führte Naftali Bogen offenbar allein einen Kolonialwarenhandel, nunmehr im Haus Wielandtstraße 10 parterre.

Bei der Polenabschiebung im Oktober 1938 scheinen Naftali Bogen und sein Sohn nicht mehr in Deutschland gewesen zu sein. In den Namenslisten aus Zbaszyn an der deutsch-polnischen Grenze sind ihre Namen nicht enthalten.

Nach dem Novemberpogrom wurden die Zurückbleibenden, vor allem Frauen und Kinder, schikaniert und zur Auswanderung gedrängt: „Am 14. November 1938 vormittags 6 Uhr“, heißt es in einer Gestapomeldung, „sind unter Einsatz aller Kräfte der Sicherheits- und Ordnungspolizei [...] schlagartig bei den in anliegenden Listen genannten Juden polnischer Staatsangehörigkeit Kontrollen darüber vorzunehmen, ob
a) sich die Genannten hier noch aufhalten
b) sie im Besitz polnischer Pässe sind
c) die Kinder in den Pässen eingetragen sind
d) etwa weitere polnische Juden sich bei ihnen aufhalten.“6

Bei dieser Kontrolle wurde Feige Bogen alleine in der Brunnenstraße 3a angetroffen.7 Diese Straße im Karlsruher „Dörfle“ besteht heute nicht mehr. (Die heutige Brunnenstraße erinnert nur dem Namen nach daran, hieß aber damals Durlacher-Tor-Straße.)

Bei der Volkszählung am 17. Mai 19398 mit ihren „Ergänzungskarten für jüdische Haushalte“ taucht Familie Bogen unter den Karlsruhern nicht auf. Im Adressbuch 1940 (Stand Ende Januar 1940) auf einer „Liste jüdischer Einwohner“ S. 322 findet sich allerdings wiederum:

„Bogen, Feige Sara, Frau, Schützenstr. 75.“ „Sara“ ist bereits der von den NS-Behörden beigegebene Zwangsname für Juden.

Wenn diese Angaben stimmen, wohnte die Frau (nicht Witwe, wie es gegebenenfalls geheißen hätte) nach Kriegsausbruch in der Südstadt. Im selben Haus lebte zeitweilig auch Familie Gewürz.

Auf einer polnischen Opferliste aus Tarnów9 stammender Juden in der Gedenkstätte Yad Vashem ist aufgeführt: „Nr 1069: Bogen (Rynek [dt. „Marktplatz]) I“. In „Tarnow; The Life and Decline of a Jewish City“, vol. 2, Tel Aviv 1968, S. 348 findet sich: Bogen, Vorname unbekannt, männlich, mit Familienangehörigen, Ort des ständigen Wohnsitzes: Tarnów. Die jüdischen Bürger/innen dieser Stadt starben mehrheitlich im Vernichtungslager Belzec.

Beim Internationalen Suchdienst in Arolsen ist nichts über die Familie bekannt. Dennoch ist anzunehmen, dass alle drei, vielleicht auf dem Umweg über ein Auswanderungsland, an unbekanntem Ort in Osteuropa umgekommen sind.

(Christoph Kalisch, September 2010)



Anmerkungen:
[1] Stadtarchiv Karlsruhe, 6/BZA 2016.
[2] Jewish Records Indexing Poland, jewisgen.org .
[3] StadtAK, 6/BZA 2016.
[4] In der Heiratsurkunde 1915 steht „Sackhändler“ Naftali Bogen.
[5] Geenerallandesarchiv 480/27608 Leib Silberberg.
[6] Gestapolisten, Ordner 26, S. 17v, in StadtAK 8/StS 34/136 Blatt 19.
[7] Ebenda, S. 19.
[8] Bundesarrchiv R1509 Ergänzungskarten zur Volkszählung 17. Mai 1939.
[9] Yad Vashem O.3 - Testimonies Department of the Yad Vashem Archives , 5219539: List of Jews victims from Tarnow.

Tarnow.