Rubin, Esther
Nachname: | Rubin |
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Vorname: | Esther |
abweichender Name: | Bergmann, verh. |
Geburtsdatum: | 17. Februar 1908 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Naftali und Taube R. |
Familie: | Ehefrau von Salomon Bergmann (1.5.1908-?); Mutter von Max (22.3.1931-?) und Oskar (20.11.1934-?); Schwester von Josua, Helene (1908-1908), Recha Mohl, geb. Rubin und Sara; |
Biographie
Naftali und Taube Rubin
Erinnerung an Familie Rubin
Im Geschichtsunterricht heute wird das Thema Nationalsozialismus ausführlich behandelt. Vermutlich wird die Beschäftigung damit auch zukünftig eine zentrale Position einnehmen, denn solch eine Zerstörung menschlicher Existenz und Würde darf niemals wieder geschehen. Opfer waren all diejenigen, die nicht dem „arischen“ Ideal eines Menschen entsprachen, insbesondere so genannte „Zigeuner“ und vor allem Juden. Sie alle waren der Willkür und dem Terror des Nationalsozialismus schutzlos unterworfen.
Eine dieser betroffenen Familien war die jüdische Familie Rubin. Sie bestand aus den Mitgliedern Naftali David Rubin, dem Vater, der Mutter Taube Malka Rubin, geborene Westreich, und deren fünf Kindern Esther, Helene, Recha, Josua und Sara Regina.
Naftali David Rubin wurde am 15. März 1883 in der österreich-ungarischen Stadt Korczyna als eines von sechs Kindern von Handelsmann Benjamin Rubin und seiner Ehefrau Maria, geborene Schipper, auf die Welt gebracht. Im selben Jahr, am 1. Dezember 1883 wurde seine zukünftige Ehefrau Taube Malka Westreich, Tochter von Schya und Rachel, geborene Blaugrund, Westreich in Brzesko geboren. Beide Kleinstädte liegen in Galizien, wo aufgrund der mittelalterlichen Wanderbewegung der Anteil der jüdischen Bevölkerung sehr hoch war. Das ehemalige polnische Gebiet wurde 1772 erstmals zwischen Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt; die Einwohner dieses Teils von Galizien gelangten dadurch unter die österreichische Staatsgewalt. Infolge der Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg gelangte er an das wiedererrichtete Polen, bis heute.
Über das Zusammentreffen der Eheleute Rubin ist zwar nichts bekannt, es ist aber zu vermuten, dass sie sich noch vor dem Auswanderungsentschluss nach Deutschland kennen gelernt haben, da sie 1901 beide das Ziel Straßburg hatten, das zur damaligen Zeit noch zum deutschen Reich gehörte. Naftali Rubin hatte sich im Alter von 18 Jahren entschlossen, das Elternhaus zu verlassen und wollte weit entfernt im Westen eine eigene Existenz aufbauen. Die genauen Gründe bleiben verborgen, vielleicht gab es auch nähere oder entferntere Verwandte, auf die sich sein Entschluss stützte; anzunehmen ist, dass er eine Portion Mut und Entschlossenheit besaß. Naftali schlug sich als Handlungsreisender durch. In Straßburg entschlossen sich Naftali und Taube zu heiraten, allerdings lediglich kirchlich nach jüdischem Ritus, nicht standesamtlich, damit war die Eheschließung nach deutschem Recht nicht offiziell und somit nicht rechtsgültig.
1907 zog das Ehepaar gemeinsam nach Karlsruhe und war zunächst in der Kronenstraße 56 wohnhaft. Kurz darauf, am 17. Februar 1908 wurden die Zwillingsschwestern Esther und Helene geboren. Unglücklicherweise verstarb Helene schon im darauf folgenden Monat, am 23. März. Genauere Umstände des Todes sind im Sterberegister nicht aufgeführt, vielleicht ist von einem plötzlichen Kindstod auszugehen. Am 27. Mai 1909 erblickte Recha das Licht der Welt, es folgten Josua, der einzige Sohn, am 1. Mai 1911 und schließlich Sara Regina Rubin, am 6. Juni 1912. Nach Geburt der Kinder zog die Familie in die Südstadt, in das erste Obergeschoss der Winterstraße 50, wo sie die nächsten zwanzig Jahre wohnhaft blieb.
Hatte Naftali Rubin das nötige Geld zum Überleben anfangs als Handlungsreisender verdient, versuchte er sich nun selbständig kaufmännisch, indem er mit Vergrößerung von Fotographien handelte. Seit 1926 wurde er dann Inhaber eines relativ umfangreichen Wäscheversandgeschäfts, das bis zur Boykottierung in der NS-Zeit auch gut gelaufen zu sein scheint. Immerhin konnte er zeitweise acht Reisende beschäftigen. Taube Rubin war anfangs Hausfrau. Nach Eröffnung des Versandgeschäfts war sie nicht „nur mithelfende Familienangehörige“, sondern trug als Handelsreisende maßgeblich zu dessen Umsatz bei. Die Rubins leisteten sich zu diesem Zeitpunkt auch eine Haushaltsgehilfin, nicht nur ein Zeichen für die berufliche Anspannung, sondern auch für das Streben nach dem bürgerlichen Lebensstil der Zeit.
Auffällig sind mehrere Berufswechsel Naftalis und häufige Umzüge innerhalb von Karlsruhe in den ersten Jahren; deshalb ist es naheliegend anzunehmen, dass die Eltern sehr um die Existenz ihrer Familie gekämpft haben, indem sie sich an gegebene Umstände anzupassen versuchten. Die Wohngegenden befanden sich in keiner außergewöhnlichen Lage, weder besonders wohlhabend, noch waren sie von Armut geprägt. Aus der Tatsache, dass Naftali in der orthodoxen Chewra-Kadischa-Bruderschaft, die für das streng-religiöse jüdische Beerdigungsritual sorgte, engagiert war, lässt auf eine religiöse orthodoxe Religions- und Lebensgestaltung schließen.
Am 26. Januar 1915 haben die bisher nur kirchlich Getrauten den Entschluss gefasst, sich nun auch standesamtlich das Ja-Wort zu geben. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden: Entweder wollten sie die Vorraussetzungen für eine spätere Einbürgerung – noch waren sie österreichisch-ungarische Staatsbürger - schon frühzeitig schaffen, oder die gesetzliche Trauung sollte noch rasch vor der zu erwartenden Militäreinberufung Naftalis vollzogen werden. Ein Indiz für zweiteres sind die Trauzeugen. Im Heiratsregister sind der Hausmeister des Rathauses und ein Büroangestellter angegeben, die für die Eile sprechen. Andererseits könnte auch ein fehlender Bekanntenkreis Grund dafür sein; es ist außerdem unbekannt, ob Familienangehörige in Karlsruhe oder Umgebung gelebt haben.
Als Italien Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915 den Krieg erklärte, wurde Naftali aufgrund seiner Staatsangehörigkeit am 16. August zum Dienst an der Waffe verpflichtet und leistete diesen auch im Schützenbatallion Nr.18 bis zum Kriegsende ab; er überlebte den Krieg und wurde am 5. Dezember 1918 schließlich wieder entlassen.
Da nach dem Ersten Weltkrieg der galizische Herkunftsort in den polnischen Staat eingegliedert wurde, stellte Familie Rubin Mitte April im Jahre 1920 einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Naftali Rubin begründete seinen Entschluss damit, dass er „unter keinen Umständen polnischer Staatsangehöriger werden möchte“. Der Antrag wurde vom Karlsruher Polizeipräsidium bearbeitet, indem nach Auffälligkeiten recherchiert, Vermögensverhältnisse geklärt und die betroffenen Personen auf eventuelle Konkurs-, Strafverfahren und Fürsorgeleistungsbeziehungen überprüft wurden.
Die Beamten stießen dabei auf den einzigen Eintrag im Strafregister zu Naftali Rubin, der besagt, dass er 1911 wegen Betrugs zu 50 Mark Geldstrafe, ersatzweise fünf Tage Ordnungshaft, verurteilt worden war. Laut Berufsangabe dieses Berichtes war er zu diesem Zeitpunkt auch Sackhändler gewesen, jedoch findet man diese Bezeichnung ausschließlich in eben diesem Register vermerkt. Der Betrug war ausschlaggebend für folgenden Beschluss: „Wenn diese Strafe auch verhältnismäßig gering ist, so muss sie doch die Annahme eines nicht mehr unbescholtenen Lebenswandels deswegen gründen, weil nach dem Urteil Rubin minderwertige photographische Vergrößerung unter allerlei unzutreffenden Anpreisungen an den Mann zu bringen versuchte und dabei eine Reihe Leute schädigte, somit eine Gefahr für das Publikum ist.“ In Übereinstimmung mit dem Stadtrat lehnte das Bürgermeisteramt Karlsruhe den Antrag daher am 13. Juli 1920 ab.
Nicht entmutigt stellte Naftali neun Jahre später, am 22. März 1929 erneut einen Antrag auf Erlangung der deutschen Staatsbügerschaft für sich und seine Familie; die zwischenzeitlich volljährige Tochter Esther stellte zeitgleich einen separaten Antrag. Obwohl aus polizeilicher Sicht keine Einwendungen bestanden, der Lebensunterhalt gesichert war, keine staatlichen Unterstützungsleistungen empfangen wurden, die erwähnte Bagatellstrafe aus dem Strafregister längst gelöscht war, wurde der Antrag mit dem Einwand des Karlsruher Stadtrats, dass Naftali Rubin den Pflichten als Steuerzahler nicht einwandfrei nachkomme, zurückgewiesen. Zeitgleich wurde auch der Antrag der Tochter Esther bearbeitet, gegen ihre Einbürgerung erhob der Stadtrat keine Bedenken. Allerdings teilte ihr das Polizeipräsidium drei Tage später schriftlich ohne nähere Begründung mit, dass sie die Vorraussetzung aus Ziffer 8 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 nicht erfülle und dem Gesuch der Einbürgerung daher nicht entsprochen werden könne. Dieses Gesetz schreibt Ausländern, die sich im Inland niedergelassen haben, vor, sowohl nach den Gesetzen der alten Heimat, als auch nach denen Deutschlands unbeschränkt geschäftsfähig zu sein, im bisherigen Leben keine Schuld auf sich geladen zu haben und außerdem, am Niederlassungsort eine eigene Unterkunft zu besitzen und imstande zu sein, eventuelle Angehörige zu ernähren. Da Esther Rubin bisher keinen Beruf erlernt hat und bei ihren Eltern wohnt, kann die Rede von einem Folgebeschluss sein, der sich aus der Antragszurückweisung der Eltern ergibt. Kurz darauf, am 27. Mai 1930, heiratete Esther den am 1. Mai 1908 in Brzesko bei Posen geborenen Kaufmann Salomon Bergmann. Der Sohn Max wurde noch in Karlsruhe geboren, am 22. März 1931 Im gleichen Jahr verzog das junge Ehepaar dann nach Ludwigshafen, wo der zweite Sohn Oskar am 20. November 1934 geboren wurde. Salomon Bergmann betrieb eine Sackhandlung.
Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 ging es mit dem Versandgeschäft der Rubins nach und nach immer steiler bergab. Das Geschäft litt unter dem Boykott, die beschäftigten Reisenden konnten nun nicht mehr länger arbeiten. Als Juden wurden ihnen 1934 die Reiseerlaubnis entzogen. Naftali Rubin versuchte sich 1938 aber noch gegen die Aufnahme seines Geschäfts gemäß der nationalsozialistischen Verordnung in das Verzeichnis jüdischer Gewerbebetriebe zu wehren. Hoffnungslos. In dieser Angelegenheit blieb dem Polizeipräsidenten nur noch festzustellen, dass Taube Rubin das Geschäft nach der Deportation ihres Mannes zum Dezember 1938 aufgelöst habe.
Naftali Rubin war am 28. Oktober 1938 per Eisenbahn vom Verladebahnhof Karlsruhe über Mannheim nach Zbaszyn deportiert worden, einer polnischen Stadt an der Grenze zu Deutschland. Die Zahl der jüdischen Insassen stieg von 52 Menschen auf ca. 6100 nach dem Deportationszeitpunkt nach Polen am 28./29. Oktober an. Grund war, dass das NS-Regime zu diesem Datum alle von ihm als „polnische Staatsbürger“ bezeichneten männlichen Juden Deutschlands nach Polen abzuschieben gedachte.
Naftalis Ehefrau musste ebenfalls das Reichsgebiet verlassen, allerdings bekam sie eine Frist bis zum 31. Juli 1939. Wann sie Karlsruhe tatsächlich verließ, um ihrem Mann zwangsweise nach Polen zu folgen bleibt unbekannt. Es verliert sich jede Spur von ihr. Allein, als Sterbejahr und -ort für Taube Rubin wird Alma Ata in Kasachstan genannt, 1943. Doch gibt es keinerlei papierenen Nachweis hierfür, bleibt es völlig im Dunkel, woher diese Information stammt. Nicht nachvollziehbar ist auch, wie und warum sie sich dorthin begeben haben soll, ebenso unter welchen Umständen sie gestorben ist. Flüchtete sie zu Beginn des deutschen Überfalls auf Polen im September 1939 nach dem östlichen Polen, das gemäß dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt sowjetisch besetzt wurde? Wenn, dann wurde sie im sowjetischen Machtbereich sicherlich nicht als Jüdin verfolgt, doch führte das sowjetische Regime während des Krieges aus strategischen Gründen verschiedene Bevölkerungsdeportationen durch, die für die Betroffenen unter unsäglichem Leid stattfanden und auch Todesopfer forderten. Sicher sagen kann man nur, dass ihr Tod so nicht ohne die brutale Verfolgung des NS-Regimes stattgefunden hätte.
Naftalis Sterbeort und –datum sind unbekannt, er gilt als verschollenes Opfer des NS-Regimes.
Aus den „Wiedergutmachungsakten“ kann annähernd nachvollzogen werden, was mit den Kindern geschehen ist bzw. sein muss. Tochter Recha hatte in Frankfurt a.M. im Jahre 1932 den 1903 in Lancut geborenen und seit 1922 in Düseldorf wohnenden Salomon Mohl geheiratet, wo das Ehepaar dann auch lebte. Aus der Ehe ging ein gemeinsamer Sohn hervor, Oskar, der am 14. Juni 1935 in Düsseldorf geboren wurde. Im Mai 1939 wurde die dreiköpfige Familie gezwungen, Düsseldorf zu verlassen und nach Polen zu gehen. Recha starb am 12. Januar 1947 in einem DP-Lager (Displaced Person), Auffangstation für viele der den Krieg überlebenden Verfolgten, in Bad-Reichenhall. Das lässt darauf schließen, dass sie ebenfalls Opfer des NS-Terrors geworden war, jedoch das unmittelbare Kriegsende überlebt hatte. Möglicherweise sollte das DP-Lager Zwischenstation auf dem Weg einer erhofften Emigration sein. Ihre Geschwister Esther und Josua kehrten nach Angabe von Rechtsanwalt Cohn nicht aus den Vernichtungslagern zurück, in die sie durch die Nationalsozialisten deportiert worden waren. Doch wie und wann sie diesen Weg gegangen sein mussten, bleibt im Dunkel. Esther folgte wohl ihrem Mann Salomon Bergmann, der vom Wohnort Ludwigshafen vermutlich gleichfalls im Oktober 1938 nach Polen abgeschoben worden war. Josua hatte am 3. September 1936 in Karlsruhe die aus Ludwigshafen stammende zwei Jahre ältere Rosa Bergmann geheiratet, aus der gleichen Familie, in die Schwester Esther geheiratet hatte. Danach muss er aus Karlsruhe weggegangen sein.
Einzig und allein die jüngste Tochter Sara Regina hatte die grausamen Jahre der Diktatur überlebt. Sie wohnte später in Brooklyn/New York, USA, war verheiratet und hatte ein Kind.
Am 5. Februar 1959 ist der Antrag auf Entschädigung wegen Freiheitsentzug durch die Deportation und Abschiebung nach Polen zurückgewiesen worden, weil nach Ansicht der Beamten der „Wiedergutmachungsbehörde“ nicht nachgewiesen werden könne, dass Naftali Rubin durch Einwirkung von NS-Maßnahmen nach „Verlassen des Reichsgebietes“ zu Schaden gekommen sei.
Lediglich für den entstandenen Verlust des zurück gelassenen Mobiliars wurde später eine Entschädigungssumme gewährt, dies aber auch erst nach Widerspruch zum ersten ablehnenden Bescheid. Nachträglich wurde auch die berufliche Einschränkung durch die NS-Maßnahmen anerkannt und mit einer Geldsumme „ausgeglichen“.
Bei der behördlichen Nachforschung im Zusammenhang des „Wiedergutmachungsverfahrens“ konnte festgestellt werden, dass 1938 keines der Kinder mehr in Karlsruhe bei den Eltern gewohnt hatte. Ein unter der letzten Wohnadresse lebendes Ehepaar erinnerte sich noch, dass der Wohnungsbestand der Rubins, wie z.B. Möbel, durch die NS-Behörden öffentlich versteigert worden war.
Vermutlich leben heute nur noch die Enkel von Naftali und Taube Rubin, denen dieser Teil der Großeltern mit Sicherheit gefehlt hat und die, wie wir, sich nicht vorstellen können, wie Menschen anderen Menschen solche brutalen, schrecklichen Diskriminierungen und enormen psychischen wie physischen Schaden zufügen konnten.
(Jan Haag, Klasse 12 des Lessing-Gymnasiums, Juli 2004)