Wiernik, Sara
Nachname: | Wiernik |
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Vorname: | Sara |
abweichender Name: | auch Wernik oder Viernik |
geborene: | Holländer |
Geburtsdatum: | 18. Dezember 1876 |
Geburtsort: | Warschau (Russland, heute Polen) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Mendel W.; |
Steinstr. 15,
Wielandtstr. 10
Biographie
Mendel Wiernik und Sara Wiernik, geb. Holländer
Unter den tausenden Namen ehemaliger jüdischer Einwohner/innen von Karlsruhe während der Zeit des Nationalsozialismus, die das Stadtarchiv Karlsruhe seit Jahrzehnten aufbewahrt, befand sich der Name Wiernik (oder Wernik) nicht. Mendel und Sara Wiernik waren zunächst unbekannt. Nur ein „Lehrer Wernik“ tauchte in einem Zeitzeugenbericht auf (Leon Meyer, 8/StS 13/492 bzw. Werner, Juden in Karlsruhe, S. 597). Als im Frühjahr 2009 während eines Studienbesuchs beim Internationalen Suchdienst in Arolsen eine Akte zur „Polenabschiebung“ aus Karlsruhe zugänglich gemacht wurde, konnten auch diese beiden erstmals in Karlsruhe nachgewiesen werden. Bei der „Polenabschiebung“ handelt es sich um die im Oktober 1938 nach Polen erfolgte Deportation von Männern, deren Familien von den Nationalsozialisten zu „polnischen“ bzw. staatenlosen Juden erklärten wurden. Die meisten von ihnen waren um den Ersten Weltkrieg aus Osteuropa nach Karlsruhe zugewandert.
Trotz großer Bemühungen ließ sich zum Leben von Mendel und Sara Wiernik nur wenig recherchieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden sie Opfer der NS-Verfolgung, aber auch dieses ließ sich nicht auf Quellen basiert nachweisen. In der Hoffnung, dass diese wenigen Angaben einmal weiter vervollständigt werden können, sind sie hier veröffentlicht.
Mendel Wiernik, auch: Wernik oder Viernik geschrieben, war Religionslehrer an der Talmud Tora, einer der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe angegliederten kleinen Nachmittags- bzw. Sonntagsschule für Jungen, die überwiegend aus Familien kamen, die seit dem Ersten Weltkrieg aus Osteuropa zugewandert waren.
Mendel Wiernik wurde am 24. Februar 1864 im polnischen Pultusk, etwa 60 km nördlich von Warschau geboren. Seine Eltern waren vermutlich Mordechai (Mordke) Wiernik und Tauba, geb. Abramczyk, sehr fromme Leute, die wohl den Gerer Chassidim nahestanden.1
Mendels Frau Sara, geborene Holländer, kam am 18. Dezember 1876 in Warschau zur Welt. In den 1930er Jahren lernte ihr Nachbarskind Regina Weißbart sie näher kennen, da sie kaum das Haus verlassen konnte: Sara Wiernik hatte eine Beinprothese (ein „Holzbein“). Die heutige Mrs. Strom-Weissbart erinnert sich, die Wierniks hätten mindestens eine Tochter gehabt, die auswärts verheiratet gewesen sei. Frau Wiernik habe ihr damals heimlich Romane geliehen, was Reginas Eltern nicht begeisterte.
Ehepaar Wiernik wohnte in der Südstadt, in der Wielandtstraße 10, im Obergeschoss des Hauses des Lebensmittelhändlers Naftali Bogen, der dort auch einen Minjan (ein kleines Bet- und Lehrhaus) unterhielt. Die Unterrichtsstunden (Schi'urim) umfassten wohl alles vom Hebräisch-Lesenlernen bis zur Auslegung schwieriger Talmudpassagen. Sie wurden im Vorderhaus der Synagoge Karl-Friedrich-Straße 16 abgehalten. Weitere Lehrer dort waren David Kalisch und Rabbiner Pessach Pack.2 Ein Unterstützungsverein sorgte für die Finanzierung.
Bei einer Gestapo-Kontrolle, welche aus Polen stammenden Juden sich nach der Abschiebung vom Oktober 1938 noch in Karlsruhe aufhielten, wurde Ehepaar Wiernik am 14. (oder 17.) November 1938 morgens um 6 Uhr in der Wielandtstraße 10 angetroffen.3
Männer über 60 und Kranke waren teilweise nicht abgeschoben worden, unterstanden aber einer schikanösen Überwachung und hatten die Auflage, bis Juli 1939 Karlsruhe zu verlassen („Aufenthaltsverbot“), nachdem ihnen die polnische Pässe nicht verlängert und keine deutschen Papiere gewährt worden waren.
Auf den „Ergänzungskarten“ für jüdische Haushalte bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 findet sich Sara Wierniks Name nicht mehr.4 Nur ihr Mann Mendel ist genannt mit Adresse Adlerstraße 35, dem von den Behörden zum „Judenhaus“ bestimmten Wohnhaus der Familie Jakob Altmann, dazu die Angabe: „unbekannt abgewandert“. Auf einer späteren geheimpolizeilichen Kontroll-Liste im Juni 1939 fehlen beide. Ob der vielleicht bereits verwitwete Mann zu Angehörigen gereist war, vielleicht in das bald zu „Ostenburg“ verdeutschte, polnische Pultusk, ist nur zu vermuten. Für beide Eheleute belegen weder das Standesregister noch die Unterlagen der jüdischen Friedhöfe in Karlsruhe einen natürlichen Tod.
Der Internationale Suchdienst (ITS) Arolsen führt Ehepaar Wiernik als Opfer der NS-Verfolgung auf, ohne nähere Angaben. Mit höchster Wahrscheinlichkeit sind beide, der etwa 75-jährige Lehrer und seine schwerbehinderte Frau, durch Naziterror an unbekanntem Ort zu Tode gekommen.
(Christoph Kalisch, November 2009)
Anmerkungen:
[1] Hinweis von Michael Goldstein; vgl. www.ourfamilyroots.net .
[2] Vgl. Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zu rnationalsozialistischen Machtergreifung, Karlsruhe 1990 (2. Auflage), S. 597.
[3] ITS Arolsen Gestapolisten, Ordner 26, S. 17 v, in Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 34/136 Blatt 18.
[4] Bundesarchiv R1509.