Stafier, Markus
Nachname: | Stafier |
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Vorname: | Markus |
Geburtsdatum: | 18. Februar 1932 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Jakob und Hanna, geb. Silbermann, S. |
Biographie
Hanna, Jakob und Markus Stafier; Eugen Silbermann
Hanna Silbermann kam am 2. September 1901 in Karlsruhe zur Welt. Ihre Eltern Markus Mordechai Silbermann und Amalie, geborene David betrieben damals ein kleines Bekleidungs- und Schuhgeschäft mit eigener Pantoffelherstellung in der Karlsruher Oststadt, Georg-Friedrich-Straße 221 . Es gab offenbar viel Nachfrage, denn der Vater suchte per Annonce „15 tüchtige Schuhmacher auf Tuchschuharbeit zum sofortigen Eintritt“ 2. Die Silbermanns waren orthodoxe Juden und Ende des 19. Jahrhunderts nach Karlsruhe zugezogen.
Das Geschäft bestand erst kurze Zeit; zuvor hatte Markus Silbermann als Küfer gearbeitet3, vermutlich bei einer Karlsruher Weinhandlung. Kurz nach Hannas Geburt zog die Familie im November 1901 mitsamt „Pantoffelfabrik“ in die Durlacher Straße 58 parterre4 (heute: Am Künstlerhaus) in der Karlsruher Altstadt, dem „Dörfle“ um. Im Ladenverkauf gab es Schuhe, Stiefel und Herrenkonfektion, „Auswahl in sämmtlichen Winter-Artikeln zu staunend billigen Preisen“5. Im selben Haus wohnten zeitweilig andere Familien aus Osteuropa, so zum Beispiel die des Handelsmanns Meier Teitelbaum und die des Hausierers Jakob Brand.
Ab 19076 erfahren wir auch von Markus' Mutter Gutel Chaya Silbermann geborene Rosenberg, „Lehrerwitwe“. Gutel – oder Gitel – wohnte in der Kaiserstraße 71, Hofgebäude 3. Stock, zwischen Waldhorn- und Kronenstraße, nicht weit von ihren Kindern und ihrer Enkelin Hanna. Mit im Haus wohnte der Sänger Leopold Plachzinski, der z.B. im „Rosenkavalier“ am Hoftheater mitwirkte. Gutel war die Witwe des Religionslehrers Bär Jehoschua Silbermann, der vor dem Zuzug nach Karlsruhe verstorben sein muss. Sie war um 1848 in Subbatt in der damaligen russischen Provinz Kurland geboren. Die heutige Kleinstadt Subate liegt etwa 25 km westlich von Daugavpils in Lettland, nahe der Grenze zu Litauen.
Die Silbermanns und damit auch Hannas Eltern zählten zur Israelitischen Religionsgesellschaft, der neuorthodoxen Austrittsgemeinde mit ihrer Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße 16 und ihrem damaligen Rabbiner Dr. Sinai Schiffer. Ein wichtiger Vorläufer und ein Vorbild dieser Bewegung war der Gaon von Wilna (1720-1797). Gelehrte in seiner Nachfolge legen großen Wert auf die grammatisch fundierte Erklärung der hebräischen Bibel (Tanach) und vermeiden Schwärmerei oder scharfsinnige Dispute. Auch die weltlichen Wissenschaften werden ernst genommen, so dass die damaligen Austrittler das Religionsgesetz studierten und „torahtreu“ lebten, aber bestrebt waren, offen für die Erfordernisse der Gegenwart zu sein.
Hannas Vater Markus war im Jahr 1869 in Schawly, Provinz Kurland, heute Šiauliai in Litauen zur Welt gekommen. Drei jüngere Geschwister sind belegt: Jakob Silbermann, am 14. Januar 18807 in Subbatt geboren, er wohnte ab etwa 1910 mit Ehefrau Emma, genannt Elise, geborene Jesselsohn wenige Häuser entfernt im Dörfle; Sally (Salomon) Silbermann, geboren um 1882 in Lettland, verheiratet seit 1914 mit Fanny, geborene Ginsberger und Michael Silbermann, geboren 1885 in Subbatt, er war vorübergehend unter der Karlsruher Adresse seiner Mutter gemeldet,8 ist aber später aus Karlsruhe weggezogen.
Hannas Mutter Amalie geborene David, geboren am 15. November 1866 in Malsch bei Karlsruhe, war die Tochter von Jakob David und Babette, geborene Wagner. Jakob David hatte in Malsch ein Manufakturwarengeschäft mit Anzug- und Futterstoffen inne, geführt von seinen Söhnen Kaufmann und Joseph, Amalies Brüdern.9 Nach einer Totgeburt10 im Jahr zuvor war Hanna die älteste von drei Geschwistern. Am 4. September 1903 wurde ein Bruder geboren, Salli (nicht zu verwechseln mit seinem Vetter Sally), am 18. Mai 1907 eine Schwester, Tilly.
Hanna besuchte in Karlsruhe die Volksschule, mehr war über ihren Bildungsweg nicht festzustellen. Um 1908 zog die größer gewordene Familie mitsamt Handelsgeschäft und Pantoffelproduktion in die Durlacher Straße 8511 um , etwa 1911 dann – für viele Jahre – in das Haus Markgrafenstraße 14, das Joseph David gehörte, Amalies Bruder in Malsch. Familie Silbermann wohnte und arbeitete parterre. Mit im Haus befand sich das Geschäft von Regina Schlüssel mit koscheren „Wurstwaren und Geflügelhalle“. Vater Markus Silbermann war zugleich auch Hausverwalter.
1911 verstarb Hannas Großmutter mütterlicherseits, Babette David, und wurde auf dem Israelitischen Friedhof in Kuppenheim begraben, daneben auch Großvater Jakob, vermutlich im selben Jahr.
Hannas Onkel Jacob und Tante Elise waren in der nahen Brunnenstraße 1 im Erdgeschoss zu Hause. Die heute verschwundene Gasse – ganz anders als die heutige Brunnenstraße – begann an der Markgrafen-, kreuzte die Fasanen- und endete an der südlichen Durlacher Straße. Emma (genannt Elise) Silbermann, geborene Jesselsohn, gebürtig aus Binau, Amt Mosbach war die Tochter von Zacharias Jesselsohn und Fanny, geborene David. Jacob und Elise hatten drei Kinder: Siegbert Sally, geboren am 21. Juli 191112, Eugen, geboren am 1. Januar 1913,13 und Hilde, geboren am 21. Juni 1917 . Das Ehepaar betrieb einen Kleiderhandel mit Schneiderei. Ab etwa 1914 war Jacob der Eigentümer, mit im Haus lebten das Ehepaar Moritz und Hanna Freund geborene Jesselsohn, Elises Schwester, sowie zeitweilig die Familien des Kaufmanns Fischel Okuniewski und des Schuhmachers Samuel Jablonka. Nach dem 1. Weltkrieg, als die Wirtschaftslage schwieriger wurde, führte Jacob Silbermann dort ein An- und Verkaufsgeschäft.
Großmutter Gutel zog mehrmals innerhalb der Stadt um, so um 1914 in die Fasanenstraße 38.2, ein Jahr später in die Markgrafenstraße 7.2, dann um 1918 für über ein Jahrzehnt in die Durlacher Straße 50.3. Dieses Haus gehörte Julius Plachzinski, unter demselben Dach bestand die Trikotagengroßhandlung S.&C. Plachzinski. Zur Familie gab es offenbar nähere Beziehungen, so war Leopolds Halbbruder Simon Plachzinski aus Malsch gebürtig. Auch die Plachzinskis zählten zur Austrittsgemeinde.
Im Adressbuch von 1925 wird in der Durlacher Straße 50, Hofgebäude parterre ein Israelitischer Betsaal erwähnt, wie es einige in der Stadt gab. In der gleichzeitigen Zugehörigkeit zur Austrittsgemeinde in der Karl-Friedrich-Str. 16 liegt kein Widerspruch, wenn es hier in der Altstadt solch ein „Stibl“ der russischen oder baltischen Juden gab, das der Aufsicht von Rabbiner Dr. Schiffer unterstand. Auch in Vilna, Kovno oder Riga war es nicht unüblich, dass zum Beispiel verschiedene Berufsgruppen oder Wohnviertel ihr jeweils eigenes Lehrhaus betrieben, für das religiöse Studium und den Gebets-Minjan (mindestens zehn männliche Juden ab Bar-Mitzwa-Alter) für wochentags, nah am Wohn- und Arbeitsort. Viele orthodoxe Juden mit geübter Stimme können auch heute den Part des Vorbeters übernehmen und den Wochenabschnitt vortragen – so taten es sicherlich auch die beiden Familienväter Silbermann. –
Aus einer Annonce in der Badischen Presse von Januar 1918 ist abzulesen, wie sehr diese Zeit gegen Ende und nach dem 1. Weltkrieg von Mangel und Not geprägt war, die sich auch auf das Geschäft von Hannas Vater auswirkte: „1 Linoleumteppich, 1 Tisch, 1 Bett, 1 Koffer, 1 Spiegel, 1 Krankentisch, 1 Regulateur [d.h. Wanduhr], 1 Waschgestell, 1 Klavierlampe, 1 Toilettetisch und 1 Waschkessel billig zu verkaufen. M. Silbermann, Markgrafenstr. 14, Möbelgeschäft.“
Ein Licht auf das jüdische Kulturleben der frühen Weimarer Zeit wirft ein kleiner Bericht in der Wochenzeitung „Der Israelit“ im März 1921. Die Rede ist von einem Lieder- und Arienabend des Vereins der Ostjuden in Karlsruhe „zugunsten der vertriebenen, notleidenden Brüder im Osten“. Es dürfte dabei um Opfer von Pogromen in der Ukraine gegangen sein. Die Veranstaltung mit Klavierbegleitung bot „klassische Gesänge, sowie Jargonlieder“, als Zugabe den von Israel Meyer Japhet vertonten Psalm 128. Einen Prolog und Rezitationen steuerte „Frl. Silbermann“ bei – sicherlich die 20-jährige Hanna, denn Tilly war erst 14 Jahre alt.
Am 7. Dezember 1926 gaben Hannas Eltern im „Israelit“ die Verlobung ihrer Tochter bekannt. Ihr Verlobter Jakob Ber Stafier, geboren am 15. Juni 1889 in Łańcut im Karpatenvorland, damals Österreich-Ungarn, war ein Sohn von Markus und Sara, geborene Tencer (Tänzer). Zum Zeitpunkt der Verlobung wohnte Jakob in Pforzheim und war bereits seit 1910 in Deutschland14 ; hiesige Angehörige konnten wir nicht finden. Am 28. August 1927 heirateten die beiden in der Synagoge Karl-Friedrich-Straße 16. In Musterungsakten für das K.-u.-K.-Militär aus Łańcut finden sich neben Jakob auch dessen Brüder Hersch Chaim, geboren 1894, Rubin, geboren 1896 und Pinkas, geboren 1901. Der ungewöhnliche Name Stafir/Stafier geht wohl auf italienisch staffiére bzw. altfranzösisch estaf(f)ier – „Reitknecht“ – zurück, vergleichbar Namen wie Marschall oder Reiter, die an entsprechende Berufe im aristokratischen Umfeld des 18. Jahrhunderts denken lassen, als sich bei Juden entsprechende Familiennamen etablierten. Zugleich klang auch das Verb „ausstaffieren“ an, etwa die Ausstattung von Brautpaaren mit Dingen wie Tischdecken, Bettwäsche, Handtüchern, Aussteuerware…
Am 14. April 1927 starb Hannas Tante Elise Silbermann nach einer Operation in der Diakonissenanstalt in Karlsruhe im Alter von 48 Jahren. Hannas Vater Markus Silbermann ist im selben Jahr, am 11. Dezember 1927 mit 59 Jahren in Karlsruhe verstorben und auf dem Friedhof der Israelitischen Religionsgesellschaft an der Haid-und-Neu-Straße beerdigt worden. Die hebräische Inschrift seines Grabsteins würdigt den frommen und wohltätigen Mann.
Das junge Ehepaar Stafier zog ins erst kurz zuvor errichtete Weiherfeld, in die Schauinslandstraße 28 oder 30; der Eintrag im Adressbuch 192815 nennt den Haushaltsvorstand irrtümlich „Beer-Stafier, Jakob, Vertreter“. Im Jahr darauf wohnten die beiden in der Murgstraße 8a.3. Auch wenn sie dort als Trockenwohner unter dem Dach gelebt haben dürften, war es ein Fortschritt gegenüber der Enge und dem zunehmenden Verfall im Dörfle.
Auch von Großmutter Gutel musste sich nun die Familie verabschieden, sie wurde 81 Jahre alt und ist am 23. März 1929 in Karlsruhe verstorben.
Am 23. Januar 1930 verlobten sich Hannas Bruder Salli Silbermann und Claire Bär in Crailsheim. „Hauptlehrer“ Silbermann war dort seit kurzem als Religionslehrer und Vorbeter bei der Israelitischen Gemeinde tätig.
Ab etwa 1931 wohnte Familie Stafier zur Miete in der Südweststadt, Vorholzstraße 56.3, zusammen mit der verwitweten Mutter bzw. Schwiegermutter, Amalie Silbermann und Hannas unverheirateter Schwester Tilly. Hauseigentümer war Friedrich Ladenburger, mit im Haus wohnten auch Fritz Kirchheimer und Familie.
Es muss Anlass zu großer Freude gewesen sein, als am 18. Februar 1932 Markus Stafier in Karlsruhe zur Welt kam, benannt nach seinen verstorbenen Großvätern und einziges Kind seiner Eltern. Ohne Zweifel war auch die Brit Mila, die Beschneidungszeremonie, ein frohes, festliches Ereignis in der Synagoge.
Großmutter Amalie Silbermann starb am 2. Oktober 1933 mit 66 Jahren und wurde ebenfalls auf dem Friedhof der Israelitischen Religionsgesellschaft bestattet. Ihr Sohn Salli, inzwischen Lehrer und Kantor in Laupheim, bezeugte den Todesfall. Salli Silbermann ist im Juni 1936 nach Südafrika ausgewandert.16 Seine Schwester Tilly arbeitete als Stenotypistin beim Oberrat der Israeliten in der Kriegsstraße. In den Akten erscheint sie als dezidiert gesetzestreu, fleißig und gewissenhaft. Sie verließ Karlsruhe Ende 1938/Anfang 1939 und übersiedelte ebenfalls nach Südafrika, später lebte sie aus gesundheitlichen Gründen in Rhodesien (heute Zimbabwe).
Hannas Vetter Eugen arbeitete nach der Schulzeit einige Jahre im Geschäft seines Vaters Jacob in der Brunnenstraße mit. Seine Geschwister verließen Karlsruhe bald nach dem Aufstieg der Nazis. Siegbert Sally hatte die Israelitische Lehrerbildungsanstalt in Würzburg besucht und war (wie sein Vetter Salli) Religionslehrer und Kantor, 1931-33 in Hoffenheim, bis März 1934 in Weinheim, dann kam er nach Karlsruhe zurück und ist in der Folge nach Pretoria, Südafrika emigriert. Im September 1934 war Sally als „Hebräischer Lehrer“ in Benoni, Transvaal tätig 17. Seine Schwester Hilde arbeitete damals als „Haustochter“, also so etwas wie „Au pair“ in einer Karlsruher Familie und ist um 1935 ebenfalls nach Südafrika ausgewandert.
Als der 21-jährige Eugen überraschend im Sommer 1934 psychisch krank wurde, kam er auf Wunsch des Vaters in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern18. Er litt an Symptomen aus dem Formenkreis der Schizophrenie und lebte scheu und zurückgezogen im Heim. Seinem Bruder Sally in Pretoria schrieb er freundliche, unzusammenhängende Briefe, von denen einer in seiner Krankenakte erhalten ist. Im November 1934 schrieb sein Vater an die Anstalt, er beabsichtige mit Eugen das Reichsgebiet zu verlassen. Er erwähnt auch, dass beide staatenlos waren. Durch die Auswanderung wäre sein Sohn der drohenden Zwangssterilisation entgangen, wie sich aus einem Vermerk des Anstaltsarztes ergibt. Der Reiseplan scheiterte, der Vater reiste etwa Ende 1934/Anfang 1935 ohne Eugen nach Südafrika ab. Bereits am 19. Dezember 1935 ist Jacob Silbermann in Südafrika verstorben, während seine Tochter Hilde gerade auf dem Schiff dorthin unterwegs war, wie ein Enkel berichtet. Jacob Silbermanns Grab ist in Johannesburg. --
In einem Schreiben von April 1936 erwähnte Jakob Stafier, dass er inzwischen als Eugens Vormund eingesetzt sei und für sein Mündel Berufsunfähigkeitsrente beantragen wolle. Im Oktober 1938 überstand Eugen eine Appendix-Operation. Am 17. Mai 1939 erfasste ihn noch die Volkszählung in der Illenau. Am 3. November – seine Karlsruher Angehörigen waren inzwischen alle fort – wurde er in die Pflegeanstalt Bermersbach-Fußbach bei Gengenbach verlegt und von dort auf Befehl aus Berlin in die Tötungsanstalt Grafeneck bei Münsingen gebracht, wo er am 9. November 1940 vergast worden ist. Damit erlitt er ein ähnliches Schicksal wie der Karlsruher Simcha Pack und über 10.000 andere Menschen mit körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen, die dort in jenem Jahr einen grässlichen Tod fanden. Eugens Grab ist auf dem Liberalen Friedhof Haid-und-Neu-Straße erhalten. Wie diese Urnenbeisetzung ohne Angehörige, unter Kriegsbedingungen und nach der zwangsweisen Auflösung der Gemeinden vonstatten ging, wissen wir nicht. Vielleicht halfen die Familie aus Übersee und vereinzelt in Karlsruhe zurückgebliebene Juden. Ein Großneffe in Australien verwahrt ein Eugen gewidmetes Gebetbuch. –
Tilly Silbermann berichtete nach dem Krieg19: „Meine Schwester, mein Schwager und deren einziger Sohn, mit denen ich die letzten zehn Jahre zusammengelebt habe, wurden eines Tages abgeholt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen“. Die Ereignisse waren komplexer. Am 28. Oktober 1938 wurde Jakob Stafier ohne Frau und Kind, zusammen mit über 60 anderen erwachsenen, jüdischen Männern abgeholt und an die polnische Grenze bei Zbąszyń abgeschoben. Die Nazibehörden weigerten sich, den Juden mit polnischen Papieren die Visa zu verlängern, die polnische Seite wiederum blockierte deren Einreise. Eine erhaltene Liste von in Zbąszyń Internierten 20 führt „Stafier, Jakub Beer“ unter Nummer 3340 auf. Er hatte eine Unterkunft in der ulica Senatorska 10, dort war auch der Karlsruher Salomon Billig untergekommen. Als gewünschter Zielort nach Verlassen der Internierung ist „Kraków“ angegeben. Jakobs Pass, 1926 in Łańcut ausgestellt, lief am 16. Juni 1939 ab. Sein Eigentum im Ausland ist mit „3000 Zloty“ bewertet. Als Auswanderungsziel nennt die Liste: „Afrika“.
Hanna Stafier und ihr Sohn Markus sind zunächst in Karlsruhe geblieben. Bei einer razziaartigen Kontrolle am 14. November 1938, die in einer Gestapoakte21 belegt ist, wurden Hanna und der sechsjährige Markus in der Vorholzstraße 56 angetroffen. Auf einer ähnlichen Gestapoliste von Ende Juni 1939 finden sich die beiden nicht mehr. Im Frühjahr 1939 müssen die beiden demnach nach Polen nachgereist sein, ab Sommer hätte ein Aufenthaltsverbot für staatenlose und ehemals polnische Betroffene gegolten, ab Kriegsausbruch am 1. September wäre die Ausreise unmöglich gewesen.
Eine 1947 gestellte Anfrage des World Jewish Congress in Stockholm beim „Central Committee of the Liberated Jews in the American Occupied Zone in Germany“22 enthält den Hinweis, dass Familie Stafier bis 1941 in „Landshut, Ringplatz 1“ gewohnt habe, was damals zu einer vergeblichen Recherche im bayerischen Landshut führte. Historisch hieß allerdings Łańcut auch „Landshut“ und wird auch auf Polnisch und Jiddisch so ausgesprochen. Ringplatz hieß dort auf Deutsch der „Rynek“, der zentrale Marktplatz der Stadt. Demnach waren Jakob und Hanna mit ihrem sieben- oder achtjährigen Markus in Jakob Stafiers Geburtsstadt zurückgekehrt, vermutlich nachdem sie – wie andere – 1940 aus Krakau vertrieben worden waren. Es ist davon auszugehen, dass das Ehepaar Zwangsarbeit leisten musste und die Familie unter der deutschen Besatzung sofort mit Not, Hunger und Willkürmaßnahmen konfrontiert war. Jakob, Hanna und Markus Stafier müssen 1941/42 in oder bei Łańcut ums Leben gekommen sein. Wahrscheinlich wurden sie dort, wie Hunderte andere, von den Nazibesatzern oder ihren örtlichen Helfershelfern erschossen.
Krieg und Verfolgung überlebten in Übersee Hannas Geschwister Salli und Tilly, ihr Vetter Sally und ihre Cousine Hilde, verheiratete Pollnow. Aus der älteren Generation blieben Michael und Sally Silbermann – zwei jüngere Brüder von Hannas Vater – am Leben.
Laut Volkszählung war Michael Silbermann am 17. Mai 1939 in der Hospitalstraße 34 in Stuttgart23. Er flüchtete nach Jugoslawien und weiter nach Italien, wo er ab etwa Sommer 1941 interniert war 24. Er konnte 1944 von Neapel nach Fort Ontario in Oswego, NY ausreisen, wo auf Initiative von Präsident Roosevelt ein „Safe Haven“ für jüdische Flüchtlinge bestand. Sally Silbermann mit Frau Fanny lebten im südafrikanischen Johannesburg. Sally ist 1944 dort verstorben. Eine große Mehrheit der heutigen jüdischen Gemeinden in Südafrika hat ihre Wurzeln im Baltikum, vor allem in Litauen. Südafrika wäre auch das Auswanderungsziel der vier Menschen gewesen, derer hier gedacht wird.
Zugleich soll nicht vergessen sein, dass alle vier Karlsruher Bürger/-innen waren.
(Christoph Kalisch, Oktober 2021)
Anmerkungen
[1] Anzeige Badische Presse 21.2.1900: Schuh- und Kleiderwaren-Lager Markus Silbermann, Georg-Friedrich-Str. 22.
[2] Durlacher Wochenblatt, 1.11.1900.
[3] Vgl. Adressbuch Karlsruhe 1898.
[4] Adressbuch Karlsruhe, Ausgaben 1902-1908.
[5] Badische Presse 16.11.1901.
[6] Adressbuch Karlsruhe, Ausgaben 1907-1913
[7] So in Akte Stadtarchiv zu Eugen, 1/Pol.Präs. 2166 und Mitteilung Großneffe.
[8] Adressbuch Karlsruhe 1928 unter der Adresse der Mutter Gutel.
[9] Adressbuch Karlsruhe, Ausgaben 1911-1928.
[10] Totgeburt 25.7.1900.
[11] Adressbuch Karlsruhe, 1909 und 1910.
[12] Vgl. http:www.juden-in-weinheim.de/de/personen/s/silbermann-siegbert.html, und 480/11766 .
[13] Vgl. GLA 480/27681 Hilde Pollnow gest. Sidney, Australien 19.9.2000, Nachkomme Gregory.
[14] Liste Zbaszyn, Zbaszyn,www.zbaszyn1938.pl/uploads/documents/Lista_Deportowanych/Split/GK_166_1141_Cala_lista%20335.pdf .
[15] Adressbuch 1928-29
[16] http:www.gedenk-buch.de/KAPITEL/80%20SILBERMANN%20Sally.htm
[17] Vgl. Stadtarchiv Karlsruhe 1/Pol. Präs. Nr. 2166 und Staatsarchiv FR B 821/2 Nr. 12014 Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau.
[18] Vgl. Stadtarchiv Karlsruhe 1/Pol. Präs. Nr. 2166 und B 821/2 Nr. 12014 Patientenakte der Heil- und Pflegeanstalt Illenau über Eugen Silbermann (Laufzeit: 1934-1939).
[19] Vgl. Generallandesarchiv 480/21700, Entschädigungsverfahren, 1946.
[20] Liste Zbaszyn, www.zbaszyn1938.pl/uploads/documents/Lista_Deportowanych/Split/GK_166_1141_Cala_lista%20335.pdf
[21] Vgl. ITS V.C.C. 155 / XIII, VCC 82 a, VCC 159 Ordner 26.
[22] Dokument o. Sign. lt. Schreiben Yadvashem 2021.
[23] https:www.mappingthelives.org/bio/886cdc0d-cc4d-4c23-a415-d49f13d1cfb8 .
[24] Vgl. http:www.annapizzuti.it/database/ricerca.php?a=view&recid=8064 und ITS Arolsen https:*collections.arolsen-archives.org/archive/1-1-14-6_11146010/?p=1&s=Silbermann%