Andorn, Dr. phil. Hans
Nachname: | Andorn |
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Vorname: | Hans |
Geburtsdatum: | 7. August 1903 |
Geburtsort: | Hattingen (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Meier (1872-1943) und Bella (1873-1926), geb. Stern |
Familie: | Ehemann von Lotte A.;
Vater von Susanne Bella (16.5.1934-?) |
Stephanienstr. 66
Religionslehrer am Humboldt-Realgymnasium
1944 nach Bergen-Belsen (Deutschland)
Biographie
Dr. Hans Andorn
Hans Andorn wurde am 7. August 1903 in Hattingen an der Ruhr in der Dienstwohnung seines Vaters bei der jüdischen Volksschule geboren. Sein Vater war der Kantor und Lehrer Meier Andorn, seine Mutter Bella, geborene Stern. Die Familie, zu der neben dem ältesten Sohn Hans noch Berthold und Ludwig gehörten, zählte zur unbestrittenen Elite der Stadt. Der Vater genoss als Pädagoge sowie als religiöser und geistiger Mittelpunkt der Hattinger Synagogengemeinde weit über die Stadtgrenzen hinaus hohes Ansehen.
Nachdem er von 1909 bis 1913 von seinem Vater in der israelitischen Volksschule unterrichtet worden war, wechselte Hans in das Realgymnasium über.
Die bislang liberale und tolerante Stimmung in Hattingen änderte sich mit dem Ende des Ersten Weltkrieges schlagartig. Antisemitische und nationale Gruppierungen traten bereits 1918 mit judenfeindlicher Hetzpropaganda an die Öffentlichkeit und griffen dabei auch den Vordenker der Hattinger Juden, Meier Andorn persönlich an. Im Herbst 1919 wurden auch Hans und sein Bruder Berthold ebenfalls wegen ihres jüdischen Glaubens attackiert. Gemäß der sehr patriotischen Einstellung der Familie wollten die Brüder in die von Schülern des Realgymnasiums gegründete Ortsgruppe „Jugendverein Jungdeutschland“ eintreten, was jedoch verwehrt wurde. Als es dem Vater gelang, dem Verein die Benutzung der Räume des Realgymnasiums zu untersagen, begann eine üble, öffentliche Hetzkampagne.
Im Jahre 1922 machte er das Abitur. Seine Lehrer beurteilten ihn: „Ist sehr gut begabt, dabei fleißig und strebsam, liest viel und hat überhaupt starke geistige Interessen. In seinem Wesen ist er sehr zurückhaltend, sein ganzes Auftreten läßt eine gewisse kluge Berechnung und Besonnenheit erkennen: er ist reiner Verstandesmensch. Seine Reife ist zweifellos. Betragen: sehr gut, Fleiß: gut.“
Seine ursprüngliche Absicht, Medizin zu studieren, gab er aus wirtschaftlichen Gründen auf. Dafür war er 3 ½ Jahre lang in einem Bankhaus in Essen tätig. Im Herbst 1925 ließ er sich an der Berliner Universität und gleichzeitig an der dortigen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums immatrikulieren, wo er rabbinischen Studien nachging. Ab Herbst 1928 studierte er in Gießen Philosophie, Geschichte und Orientalia. Die mündliche Doktorprüfung fand am 12. Juli 1929 statt. Seine Dissertation (Abbildung links) widmete er 1930 seiner Mutter. Bella Andorn war im November 1926 verstorben. Nach der Promotion ging er nach Berlin zurück, um dort das Rabbinatsexamen abzulegen.
Am 20. März 1932 heiratete er in Witten die examinierte Gesangslehrerin Charlotte Mayer. Deren Vater, Max Mayer, war als Kantor und Lehrer der Wittener Synagogengemeinde ein enger Freund seines Amtskollegen Meier Andorn, des Vaters von Dr. Hans Andorn. Die junge Familie zog zunächst nach Karlsruhe, wo Hans erstmalig das Amt eines Rabbiners in der dortigen jüdischen Gemeinde übernahm.
Sie wohnten in der Kronenstraße 18 neben der Synagoge der liberalen Gemeinde, der etwa 75 Prozent der Karlsruher Juden angehörten. Hans kümmerte sich dabei überwiegend um die Jugend und war auch Religionslehrer am Humboldt-Realgymnasium. In Karlsruhe kam am 16. März 1934 Susanne, das einzige Kind des Ehepaares zur Welt. Die Familie lebte in der Kronenstraße 18, direkt neben der Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde. In dieser Stadt erlebten sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die ersten, offiziell organisierten Boykott- und Diffamierungsmaßnahmen und bekamen den ganzen Aufruhr in Zusammenhang mit der Verhaftung und Ermordung des jüdischen SPD-Landtagsabgeordneten Ludwig Marum in Kislau im März 1934 mit.
1934 wurde er auf die Rabbinerstelle der liberalen jüdischen Kultusgemeinde Nürnberg berufen, wo er die Nachfolge des sehr bekannten Rabbiners Dr. Max Freudenthal antrat, der sein Amt abgab und 1937 in München verstarb. Es war ausgerechnet die Stadt, nach der die „Nürnberger Gesetze“ benannt wurden, die der nationalsozialistischen Reichsregierung zur Verwirklichung ihrer rassenideologischen Vorstellungen dienten. Die Lage muss für die Familie sehr schwierig und unerquicklich gewesen sein, denn im September 1938 entschloss man sich zur Emigration nach Holland. In Den Haag arbeitete Dr. Hans Andorn als Rabbiner bei der „Liberal Joods Gemeente“. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutschen Truppen musste die Familie Den Haag verlassen. Sie ging im Oktober 1940 nach Zwolle, der Hauptstadt der niederländischen Provinz Overijssel, wo es eine größere, jüdische Gemeinde gab. Dr. Hans Andorn sollte im Jüdischen Lyzeum tätig werden. Daraus wurde jedoch nichts, weil er dem zuständigen Ober-Rabbiner zu liberal war.
Eine kleine historische, allerdings aus dem Jahre 1912 stammende Episode in Zusammenhang mit Zwolle und Juden aus Karlsruhe sei hier erwähnt. Damals spielte dort die Deutsche Fußball-Nationalelf gegen das Niederländische Team. Das furiose Spiel endete 5:5, wobei alle deutschen Tore von jüdischen Nationalspielern aus Karlsruhe geschossen worden waren, nämlich vier von Julius Hirsch und eines von Gottfried Fuchs! Julius Hirsch kam in Auschwitz um, Gottfried Fuchs konnte nach Kanada emigrieren.
1943 wurde die Familie Andorn und fast die gesamte jüdische Gemeinschaft von Zwolle in das Sammellager und KZ Westerbork eingeliefert.
Im Januar 1944 brachten die Nationalsozialisten Dr. Hans Andorn und seine Familie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie wurden in das sogenannte Austauschlager eingewiesen, in dem sich „prominente“ jüdische Häftlinge befanden, die gegen im alliierten Machtbereich internierte Deutsche ausgetauscht werden sollten.
Charlotte Andorn (Lotte Meyerstein, verwitwete Andorn, geborene Mayer: „Was wir erlitten, was wir erlebten“ in: Jüdische Wochenschau 01.08.1950, Jahrgang XI, Nr. 811, Buenos Aires) berichtete über die Zustände im Lager: „Im Februar 1945 (...) wurde der Raum für uns im Austauschlager immer kleiner. (...) Jedenfalls mussten wir uns alle paar Wochen auf weniger Baracken beschränken, weniger Waschräume, W.C.-Häuschen usw. (...) Wir waren gezwungen zu zweien in einem Bett von 70 cm Breite zu schlafen. Dieses Bett war aber auch alles, was uns zur Verfügung stand. (...) Ich hatte wenigstens das Glück, das Bett mit meiner Tochter teilen zu können.(...) Zu dieser Zeit war mein Mann schon sehr krank und schwach, und mein erster Gedanke galt natürlich ihm. Er lag in einer Krankenbaracke, genau so schmutzig und primitiv wie unsere und musste auch (in eine andere Baracke) umziehen. Meine Tochter bewährte sich in solchen Situationen immer fabelhaft. (...) Mein Mann war inzwischen aufgestanden, um seine paar Habseligkeiten zusammenzupacken. Mich ergriff dieser Anblick immer furchtbar. (...) Der früher so kräftige, große und gesunde Mann, der immer viel jünger aussah als er war, war nur noch ein Wrack.(...).“
Dr. Hans Andorn überlebte diese unmenschlichen Strapazen nicht. Am 26. Februar 1945, wenige Wochen bevor das Konzentrationslager Bergen-Belsen durch alliierte Truppen befreit wurde, ist er an den Folgen der Unterernährung gestorben.
Charlotte Andorn und ihre elfjährige Tochter Susanne, die von den Nazis noch im April 1945 auf eine 14-tägige „Irrfahrt im Todeszug“ geschickt worden waren, wurden von russischen Soldaten befreit. Zunächst kehrten sie ins niederländische Zwolle zurück, im Mai 1947 wanderten sie nach Argentinien aus. Dort heiratete Charlotte erneut. Der zweite Ehemann war Hugo Meyerstein, ein Bundesbruder ihres verstorbenen Mannes, Rabbiner Dr. Hans Andorn.
Der letzte Wohnort von Charlotte Meyerstein, verwitwete Andorn, geborene Mayer, und von Tochter Susanne Andorn war Buenos Aires. Berthold und Ludwig, den beiden Brüdern von Hans, gelang es rechtzeitig, nach Palästina auszuwandern. Meier Andorn, der Vater der drei Brüder starb 1943 in Theresienstadt, die Mutter schon 1926 in Dortmund. Anna Löwenstein, die zweite Frau von Meier Andorn, wurde in Auschwitz ermordet.
Im Rahmen der Aktion „Stolpersteine für Hattingen“ übernahm der Kunstverein Hattingen e.V. die Patenschaft für den Stein „Dr. Hans Andorn“.
Hinweis: Die Stadt Hattingen hat im Rahmen einer Aktion verschiedene Biographien veröffentlicht, darunter auch eine von Hans und eine seines Vaters Meier Andorn (Thomas Weiß, „Stolpersteine“ für Hattingen 2005, Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Hattingen, Band 17, Hattingen 2005). Da Hans mit seiner Familie zu Beginn der Nazi-Herrschaft in Karlsruhe wohnte, wurde er in die Liste der Holocaust-Opfer dieser Stadt aufgenommen. Dank der vorzüglichen Arbeit des Stadtarchivs Hattingen und der Zustimmung des Leiters, Herrn Thomas Weiß, konnten größere Teile des Textes sowie die Fotos übernommen und in dieser Biographie verwendet werden. Diese Textteile sind kursiv geschrieben.
(Richard Lesser, Februar 2006)
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 26.
Verordnungsblatt des Oberrats der Israeliten Badens Nr. Sondernummer 1933.
Israelitisches Gemeindeblatt Ausgabe B, 24.7.1933, 28.8.1933, 17.9.1933, 17.9.1933 und 18.5.1934.
Stadtarchiv Hattingen mit Projekt "Stolpersteine, Broschüre: Weiß, Thoma, "Stolpersteine" für Hattingen, 2005 [Biographie zu Vater Meier].
www.juedischeliteraturwestfalen.de/.
www.home.t-online.de/home/RIJONUE/kolb10.htm.
www.hagalil.com/deutschland/west/hattingen.htm.
LBI New York: B. Andorn: The Andorn family. Holon/Israel, 1977. 42.
Hans Andorn, Sal. Ludw. [i. e. Salomon Ludwig] Steinheims »Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge« dargestellt und in ihren problem- und philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen untersucht. Giessen 1930. 63 S. [Dissertation, enthält Vita] (in LBI New York) – Die problemgeschichtlichen Zusammenhänge von S. L. Steinheims »Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge« Frankfurt/M.: M. J. Kauffmann 1930. 437-457 S. [Auszug aus: Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Jg. 74, 1930; Fortsetzung der Dissertation des Autors] (LBI New York).
Schillers Ruetliszene bei Ch. N. Biali, in: H. Schiff (Hg.): Nathan Stein-Schrift; Arbeiten von Rabbinern Badens. in deren Auftrag hrg. Karlsruhe: J. Liepmannssohn, 1938 (LBI New York);
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1990, S. 458.