Ettlinger, Hugo

Nachname: Ettlinger
Vorname: Hugo
Geburtsdatum: 6. Oktober 1877
Geburtsort: Bretten (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Lazarus und Minna, geb. Frohmann, E.
Familie: Ehemann von Alwine E.; Vater von Ilse Irene und Lothar Reinhard
Adresse:
Wilhelmstr. 4
Beruf:
Kaufmann Teilhaber der Firma Alfred Ettlinger, Häute-, Fell- und Wildbrethandlung
Sterbeort:
Karlsruhe (Deutschland) Suizid
Sterbedatum:
26. Juni 1935

Biographie

Hugo und Alwine Ettlinger

Hugo Ettlinger wählt am 26. Juni 1935 die Flucht in den Tod.
Ab 1933 kam sein Unternehmen zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. 1935 wurde es an einen Ariseur übertragen. Im selben Jahr nahm er sich das Leben.

Das Porträt aus der nationalsozialistischen Judenkartei zeigt Alwine Ettlinger, geborene Simon, im Jahre 1938. Zum Zeitpunkt der Aufnahme steht sie vor den Trümmern ihrer Existenz. Als junge Frau war sie Anfang der 1920er Jahre nach Karlsruhe gekommen und hatte hier eine Familie gegründet. Als Gattin eines erfolgreichen Unternehmers war sie zu Wohlstand und Ansehen gekommen.

Rückblende
Hugo Ettlinger wächst in Bretten auf, wo er am 6. Oktober 1877 zur Welt kommt. Seine Eltern sind der Kaufmann Lazarus Ettlinger und Minna, geborene Frohmann. Sie besitzen ein Haus in der Brettener Melanchthonstraße 52. Hugos Bruder Alfred ist ein Jahr älter.
1911 zieht Hugo Ettlinger nach Karlsruhe in die Wilhelmstraße 4, um gemeinsam mit seinem Bruder Alfred die Häute- und Fellhandlung zu betreiben.

Alwine Simon (geboren am 6. März 1890) wächst in Mannheim auf. Sie ist die Tochter von Leopold Simon und seiner Frau Karoline, geborene Loeb-Kahn.
Am 26. Januar 1920 lassen sich Alwine Simon und Hugo Ettlinger in Mannheim trauen. Alwine bringt zwei Kinder zur Welt: Am 7. Dezember 1920 wird Ilse Irene und zwei Jahre später, am 3. Februar 1923, Lothar Reinhard geboren.
1930 zahlt ihr Mann seinen Bruder Alfred Ettlinger aus und führt das Geschäft als Alleininhaber weiter. In der Ettlinger Straße 1 sind zusätzliche Lager- und Geschäftsräume angemietet. Eine Stenotypistin, ein Kaufmann, ein Buchhalter, zwei Lagerarbeiter und ein Vertreter stehen auf der Gehaltsliste. Eine recht umfängliche Unternehmung also im Vergleich zu anderen Geschäften in dieser Branche.
Auch die Privaträume der Familie befinden sich im Gebäude Wilhelmstraße 4 in der Südstadt - einem Arbeiterviertel. Das mag überraschen, denn die Ettlingers pflegen einen aufwändigen bürgerlichen Lebensstil. Herr Ettlinger, ein lebensfroher Mann, trägt Maßanzüge. Ein Chauffeur bringt ihn zu seinen Kunden und Lieferanten. Ehefrau Alwine wird in ihren häuslichen Obliegenheiten von diversen Dienstboten unterstützt: Haushaltshilfe, Waschfrau, Putzfrau und Kindermädchen. Zerstreuung und Erbauung findet sie in regelmäßigen Opernbesuchen. Zwei Mal im Jahr begeben sich die Ettlingers auf Urlaubsreise. Und die beiden Kinder? Ferienfreizeiten sorgen für eine willkommene Abwechslung. Das Interieur der Wohnung erzählt von ihrer bürgerlichen Lebensart: Stilmöbel, Klavier, Ölbilder, Bücherwand im Herrenzimmer. Zu besonderen Anlässen wird das Silberbesteck hervorgeholt, die Speisen werden in Meissner Porzellan aufgetragen. Alljährlich feiert man mit den Angestellten das Weihnachtsfest. Die Ettlingers führen ein offenes Haus. Nicht selten heißen sie Gäste willkommen.

Doch am Horizont tun sich dunkle Wolken auf. Wir schreiben das Jahr 1933. Hitlers Machtergreifung. In diesem Jahr soll Hugo Ettlingers Sohn Lothar von der Gartenschule in das Humboldt-Realgymnasium wechseln. Doch jüdische Kinder dürfen nur noch eingeschränkt deutsche Gymnasien besuchen. Allein der Umstand, dass Hugo Ettlinger im 1. Weltkrieg als deutscher Frontsoldat diente und dabei am Gefecht von Cirey (Frankreich, Nordvogesen) beteiligt war, macht die Aufnahme Lothars möglich.
Von Monat zu Monat laufen die Handelsgeschäfte schlechter. Die Ettlingers müssen sich einschränken. Mehr und mehr schwindet Hugos Daseinsfreude und macht einer sichtlich tiefen Bedrückung Platz. In der Nacht zum 26. Juni 1935 - er steht im 57. Lebensjahr - wählt er den Freitod. Alwine findet weder ein Testament noch einen Abschiedsbrief. Sie ist nun mit ihren beiden Kindern Ilse Irene (14 Jahre) und Lothar Reinhard (12 Jahre) auf sich allein gestellt und muss zusehen, wie sie durchkommt. Denn das Geschäft wird kurz vor oder nach dem Tod ihres Mannes an einen Ariseur - ein Angestellter ihres Mannes - übertragen. Etwas später zieht Tochter Ilse Irene aus Karlsruhe weg, um eine Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren. Der Sohn, Lothar Reinhard, wird 1938 nach Großbritannien in Sicherheit gebracht. Von da an lebt Alwine Ettlinger alleine in der Wilhelmstraße 4. Am 22. Oktober 1940 wird sie dann zusammen mit den anderen Karlsruher Juden nach Gurs verschleppt und nach ihrer Deportation am 12. August 1942 in Auschwitz ermordet.

Ergänzende Hinweise zu den Kindern der Ettlingers
Die Tochter, Ilse Irene, legt am 21. Oktober 1940 das Krankenschwesterexamen ab und arbeitet seitdem als Krankenschwester im Jüdischen Krankhaus in Frankfurt a.M. in der Gagernstraße 36. Mitte der 1950er Jahre lebt sie in New York und verheiratet sich. Gesundheitlich hat sie schwere Zeiten durchzustehen. Eine Hirnhautentzündung und eine leichte Form der Kinderlähmung fesseln sie ans Bett.
Lange Zeit war ihr Weg unbekannt. Die Annahme, ihr wäre rechtzeitig die Flucht aus Deutschland gelungen, erwies sich als falsch. Bei einem Besuch des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg, legte der dortige Archivleiter Herr Honigmann ein Findbuch der Displaced-Person-Lager in Berlin vor, wo sie aufgeführt ist. Demnach kann ihr Weg soweit rekonstruiert werden, dass sie am 29. Juni 1945 in Berlin gezeichnet von der Deportation angekommen war und sich am 19. Juli 1945 nach Frankfurt begab, wo sie vor ihrem Leidensweg gelebt hatte. Es geht hervor, dass sie zuletzt im KZ Stutthof war, Häftlingsnummer 71030. Aus diesem Lager fanden seit dem 25. Januar 1945 „Evakuierungen“, so genannte Todesmärsche, vor der nahenden Roten Armee statt, unter anderem in das rund 150 km entfernte Chinow nahe der pommerschen Küste. Dort wurde Irene Ilse Ettlinger am 10. März 1945 befreit, Das heißt, dass sie unter einer der Deportationen der Juden aus Frankfurt a.M. in Ghettos und Vernichtungslager dabei war, die seit dem Oktober 1941 begonnen hatten. Irene Ilse Ettlinger ist damit eine unmittelbar Überlebende des Holocaust. Jüdische Komitees in Bromberg und in Lodz ließen ihr nach der Befreiung Unterstützung zuteil werden und sorgten für ihre Rückkehr über Berlin.

Der Sohn, Lothar Reinhard, kann 1938 im Alter von 15 Jahren nach Großbritannien ausreisen. Dort nennt er sich Elliot. Zunächst arbeitet er in einer Lederfabrik. Im Juni 1940 beginnen die Briten alle Deutschen als feindliche Ausländer zu internieren und unterscheiden am Anfang nicht zwischen Flüchtlingen aus NS-Deutschland und tatsächlichen NS-Anhängern. Lothar Reinhard wird im Februar 1941 aus der Internierung entlassen und geht zur britischen Armee. Zum Zeitpunkt seines Antrags auf Wiedergutmachung im Jahre 1957 ist er ledig und hat keine Kinder. Als Beruf gibt er Ledertechniker/kaufmännischer Angestellter an.

(Roland Schinko, August 2009, ergänzt Februar 2012)