Färber, Cerka Cilly
Nachname: | Färber |
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Vorname: | Cerka Cilly |
geborene: | Posner |
Geburtsdatum: | 20. Oktober 1887 |
Geburtsort: | Chrzanow (Österreich-Ungarn, heute Polen) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Josef F.Mutter von Sylvia und Bernhard |
Bürgerstr. 9
später in das Ghetto Krakau-Podgorze (Polen)
Biographie
Familie Färber
Dieser Eintrag ist den Eheleuten Cilly und Josef Färber gewidmet, die in der Folge des nationalsozialistischen Programms zur so genannten Endlösung der Judenfrage ermordet wurden. Dabei möchte ich auch in ausführlicheren Teilen auf die Lebensläufe der Tochter Sylvia Färber und des Sohnes Bernhard Färber eingehen, die beide den Holocaust überlebt haben. Beide damals jungen Leute hatten jeweils einen besonderen Lebensweg, der die seinerzeitigen besonderen Umstände einer heute schwer verständlichen rassischen Verfolgung auf geradezu krasse Weise beleuchtet.
Das „Familienoberhaupt“ Josef Färber wurde am 15. Februar 1888 in Dukla im Kreis Krosno im heutigen Polen geboren. Cerka Cilly, geborene Posner, war am 20. Februar 1887 in Chrzanow, etwa 40 km westlich von Krakau geboren. Damals gehörten beide Orte seit der ersten Teilung Polens 1772 zu Österreich. Im Verlauf des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts fielen diese Landstriche im Vergleich zu den aufsteigenden Industrieregionen immer mehr zurück. In weiten Teilen herrschte Armut. Jüdische wie nichtjüdische Menschen wanderten daher in großer Zahl aus. Viele versuchten in die USA zu gelangen, ein größerer Teil aber ließ sich in den wachsenden Metropolen Prag und Wien nieder oder ging in das benachbarte Deutschland. Diese Auswanderung verstärkte sich nochmals nach dem Ersten Weltkrieg als der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im Friedensvertrag von Trianon aufgelöst wurde.
In dieser Zeit, im Jahre 1919, kamen Josef und Cerka Cilly nach Deutschland. Sie gingen zunächst nach Stuttgart, wo auch am 2. Juni 1920 ihr Sohn Bernhard geboren wurde. Der Grund für den Zuzug nach Stuttgart mag gewesen sein, dass dort bereits ein Bruder von Josef lebte. Allerdings ist es wegen der nicht vorliegenden polnischen Unterlagen nicht möglich gewesen, die genaue Familienzusammensetzung zu rekonstruieren. Auch die Tochter Sylvia konnte über die verwandtschaftlichen Beziehungen keine Auskunft geben.
Zwei Jahre später zog das Ehepaar von Stuttgart nach Karlsruhe, wo dann auch 1924 das zweite Kind, die Tochter Sylvia, zur Welt kam, am 14. April 1924. Sie lebten gemeinsam in der Kaiserstraße 113 und Josef Färber arbeitete von 1924 bis 1938 als Abteilungsleiter im Hauptlager der Milchprodukte in der Zentrale der Firma Pfannkuch beim Rheinhafen - ein noch bis in die 1990er Jahre bestehender großer Lebensmittelfilialbetrieb, an den die Pfannkuchstraße erinnert, wo sich bis zum Schluss die Zentrale befand. Die Färbers mit ihrem osteuropäischen Hintergrund waren eine sehr orthodoxe Familie, ihr Leben war stark mit der Synagoge verbunden. Wie Tochter Sylvia dazu sagte, bestand praktisch das ganze soziale Leben der Familie um die Synagoge herum. Sie selbst besuchte die Volksschule, bis die sehr engagierte Schülerin seit der siebten Klasse 1936 gezwungen war, die separierte Jüdische Schule zu besuchen, weil jüdische Kinder nicht mehr die gewöhnlichen Volksschulen besuchen durften. Bruder Bernhard dagegen hatte nach der vierten Klasse der Gartenschule 1931 auf das Realgymnasium, das Humboldt-Realgymnasium, gewechselt. Er begann in der VIb, der Sexta. Die überlieferten Klassennotenbücher im Stadtarchiv zeigen, dass seine Noten über alle Jahre hinweg immer sehr gut waren, praktisch ausnahmslos „Einsen“ und „Zweien“. Im Jahre 1935/36 lässt sich in seinem Klassenbuch eine Charakterbeschreibung über ihn durch seinen Klassenlehrer lesen. Er wird als sehr eifrig, engagiert, strebsam und zuverlässig bezeichnet. Körperlich wird er als schmaler Junge beschrieben. 1937 muss er jedoch aus der Schule austreten, da es jüdischen Kindern nicht mehr erlaubt war, das Gymnasium zu besuchen. Er verließ die Schule und seine Klasse U2b, Untersekunda (10. Klasse), mit der Mittleren Reife. Eine Ausbildung hätte er zu diesem Zeitpunkt nur noch in einem jüdischen Betrieb beginnen können. Bernhard aber scheint wie der Vater sehr religiös eingestellt gewesen zu sein und besuchte anschließend das jüdische Lehrerseminar in Würzburg. Dieses war 1864 eingerichtet worden und bestand bis zur Pogromnacht 1938. Ausgebildet wurden hier Religionslehrer für Volksschulen und jüdische Religionsschulen. Im Gegensatz zu reformorientierten Lehrerseminaren wie z. B. in Berlin ganz im Sinne der Orthodoxie. Einen Abschluss machte Bernhard nicht mehr. Das Zeitgeschehen verhinderte dies.
Josef Färbers Arbeitsverhältnis bei Pfannkuch war eher außergewöhnlich, da die meisten Juden im kaufmännischen Bereich selbstständig waren oder sehr häufig kleine Handelsreisende waren, die Textilien und Ähnliches von Haustür zu Haustür anboten. Er aber war als Facharbeiter beschäftigt, wie die frühere Personalleiterin Ende der 1950er Jahre noch bestätigte, mit etwas über 200,- RM Einkommen. Dies war seinerzeit etwa Durchschnitt für Arbeiter und einfache Angestellte. Die Arbeitswoche umfasste damals noch sechs Tage, auch den Samstag. Für fromme Juden war der Samstag als Sabbat ein heiliger Feiertag, an dem keinesfalls gearbeitet werden durfte und religiöse Zeremonien zu vollziehen waren. Josef Färber erhielt deshalb arbeitsfrei und musste nur an 5 Tagen arbeiten. Vermutlich, das sagte die frühere Personalleiterin dabei nicht, arbeitete er unter der Woche länger zum Ausgleich. Zum 1. Juni 1938 musste Firma Pfannkuch auf Geheiß der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront das Arbeitsverhältnis kündigen, weil jüdische Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden durften. Damit verlor die Familie plötzlich ihre Existenzgrundlage.
Das soziale und religiöse Leben der Familie wurde kurz darauf mit einem weiteren Schlag unterbrochen und die komplette Familie wurde sogar auseinander gerissen.
Verantwortlich dafür war die von den NS-Behörden so genannte Polen-Aktion, die nichts anderes war als die Deportation nach Polen und Ende Oktober 1938 begann. Männliche Juden über 18, die offiziell die polnische Staatsangehörigkeit besaßen, weil sie aus den früheren österreichischen oder russischen Teilen Polens stammten und nach dem Ersten Weltkrieg keine deutschen Staatsbürger wurden, weil ihnen diese Einbürgerung meist verweigert wurde, mussten bis zum 30. Oktober nach Polen reisen, da sonst ihre Pässe die Gültigkeit verlieren würden. Dieser Vorwand der deutschen Regierung hatte eine Massenausweisung zur Folge, denn Polen gab bekannt, dass diese Juden in ihrem Land auch unerwünscht waren. So mussten alle Juden das Reichsgebiet bis zum 27. Oktober verlassen, da sie sonst ein Aufenthaltsverbot im Reichsgebiet Deutschland bekommen hätten. Die betroffenen Juden konnten ihre Ausreise jedoch nicht selbst vornehmen, sondern sie wurden verhaftet und in Sonderzügen zur Grenze gefahren. In Karlsruhe waren am 28. Oktober davon 62 Menschen betroffen, so auch Familie Färber. Josef Färber wurde verhaftet. Der Sohn Bernhard, der als 18-Jähriger ebenfalls unter die behördlichen Maßnahmen gefallen wäre, lebte zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr in Karlsruhe, sondern in England, wohin er bereits im August 1938 gelangt war und Zuflucht in einer Pflegefamilie gefunden hatte. Doch zu Bernhard später mehr. Der Pflegeplatz war eigentlich für die Tochter Sylvia bestimmt, doch diese wollte ihre Mutter nicht alleine lassen und blieb bei ihr.
Die deportierten Männer waren an der polnischen Grenze von den polnischen Behörden nicht in das Land eingelassen und mussten wochenlang unter katastrophalen Bedingungen im „Niemandsland“ ausharren, lebten schließlich an der Grenze im Lager Bentschen (Zbaszyn), nur versorgt von internationalen Hilfsorganisationen und kamen nach langem Tauziehen schließlich nach Polen, wo die meisten von ihnen gar keine Beziehungen mehr hatten. Oft wandten sie sich dahin, wo Verwandte lebten. Josef Färber fand in Krakau Zuflucht. Seit seiner Ausweisung lebte die „Familie“, das waren noch seine Frau Cerka und Tochter Sylvia in Karlsruhe unter dem Druck und der Aufsicht der Polizei, das Land ebenfalls zu verlassen. Dokumente belegen, wie die Polizei zu den Familienangehörigen der abgeschobenen Männer ging und sie aufforderte, Deutschland zu verlassen. Bei den Färbers klingelten sie deshalb zum Beispiel am 11. November 1938. Sylvia Färber beschrieb es so, dass sie die Tür öffnete, weil die Mutter krank war. Der Druck wurde immer weiter erhöht. Im Juni 1939 erfolgte die Androhung auf KZ-Verbringung, wenn beide nicht innerhalb kürzester Zeit das Land verlassen würden. Kurz darauf, vermutlich am 25. Juli 1939, reisten Cerka Cilly und ihre Tochter Sylvia nach Krakau hinterher. Das war kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Doch wenige Wochen später, am 6. September 1939 eroberte die Wehrmacht Krakau. Sylvia Färber berichtet, dass sie zuvor noch eine Wohnung gemietet hatten und dass sie das Leben als erträglich in Erinnerung hat. Sogar nach der Besetzung des Landes spürten sie zunächst nicht so viel Bedrückung am eigenen Leib. Aber ab November 1939 waren sie wie alle Juden zur Kennzeichnung gezwungen, eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern zu tragen und waren gezwungen, schwerste körperliche Arbeit zu verrichten. Fast eineinhalb Jahre später im März 1941 errichteten die deutschen Behörden ein Ghetto für die Juden Krakaus, am Stadtrand jenseits der Weichsel in Podgorze. In einem Stadtteil in dem zuvor 3.000 Menschen gelebt hatten, wurden nun 15.000 zusammengepfercht. Auch die Färbers mussten ihre Wohnung zu verlassen, nur mit Koffern in der Hand, wie Sylvia Färber es beschreibt, mussten sie nach Podgorze marschieren. Dieses Sammellager verschleierte den Zweck eines typischen Konzentrationslagers. Harte Arbeit und Armut waren an der Tagesordnung. Sylvia Färber war gezwungen für die Eisenbahnwerkstätten und im Dienste der deutschen Wehrmacht zu arbeiten. Im März 1943 wurde das Ghetto aufgelöst. Der größte Teil der Bewohner sollte in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht werden. Bis dahin lebte die Familie noch. Als Josef Färber am 13. März 1943 zur Abfahrt gebracht werden sollte, und zusammen mit anderen dazu in einen Raum gesperrt wurde, versuchte er zu flüchten. Nach dem Öffnen eines Fensters sprang er in die Tiefe, brach sich dabei ein Bein und konnte nicht weiter flüchten.
Josef Färber wurde erst gar nicht mehr in den Zug nach Auschwitz verbracht, sondern bewegungsunfähig im Ghetto Podgorze erschossen. Sylvia Färber sagt, es sei ein SS-Mann gewesen.
Mutter Cerka Cilly gehörte zu den aus Podgorze Deportierten. Sylvia Färber hat nie wieder etwas von ihr gehört. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war sie direkt nach Auschwitz-Birkenau gebracht und sofort bei Ankunft in der Gaskammer ermordet worden. Vermutlich wird dies ebenso wie ihr genaues Sterbedatum nicht mehr nachweisbar sein.
Sylvia Färber überlebte. sie war praktisch seit sie ca. 18, 19 Jahre war, auf sich allein gestellt. diese schlimme Bedrückung beschrieb sie dem Journalisten und Autoren zur Geschichte der Verfolgung der Juden in Karlsruhe, Josef Werner, 1988 in einem Bericht. Sie beschreibt ihre Erlebnisse sehr detailliert, ebenso wie später in einem längeren Interview in den 1990er Jahren. Sie schreibt sie Josef Werner nur auf Englisch, da sie, wie sie selbst sagt, nichts mehr mit Deutschland oder der Sprache zu tun haben möchte.
Zu ihen Erlebnissen und Erfahrungen während ihrer Gefangenschaft berichtet sie: Nach der Auflösung des Ghettos Podgorze wurde sie nicht in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wie viele andere gebracht, sondern gehörte zu den etwa 4.000 als arbeitsfähig Selektierten, die in das neu eingerichtete KZ Krakau-Plaszow verbracht wurde. Dort war sie von März 1943 bis September 1943 im Kabelwerk Plaszow zur Arbeit gezwungen. Sie hatte zehn Maschinen zu versorgen und arbeitete 12 Stunden pro Tag, eine Woche lang. In der nächsten Woche arbeitete sie 12 Stunden nachts, das war ihr Rhythmus. Sie war noch froh, dass ihre Tante im selben KZ untergebracht war und sie zusammen arbeiteten. Über diese sind jedoch keine Informationen vorhanden, nur der Name Mina. Sylvia erzählt, dass sie ohne ihre Tante mental und physisch zu Grunde gegangen wäre, denn mit ihr konnte sie über Dinge sprechen und war nicht alleine. Sylvia Färber erzählt auch, dass neben der SS als Wächter auch deutsche Kriminelle waren, die ihre lebenslängliche Haft für Straftaten wie Morde mit der Arbeit als Wachmann absitzen konnten. Außerdem erinnert sie sich auch noch daran, wie sie als Insassen des Konzentrationslagers so grausame Arbeiten absolvieren mussten, wie dass sie alte Gräber öffnen und die Verwesenden sowie Skelette nach Goldzähnen oder sonstigem Schmuck durchsuchen mussten.
Im Januar 1944 kam es zu Veränderungen. Plaszow wurde verwaltungsmäßig ein eigenes KZ. Sylvia Färber wurde dabei aber zusammen mit einer Reihe anderer KZ-Insassen und darunter auch ihre Tante in ein anderes Lager gebracht. Man erzählte vor der Abfahrt dazu, dass es ein Ort sei, an dem es viel Essen und saubere Kleider gäbe. „Es klang wie der Himmel“ dachte sich Sylvia Färber in diesem Moment. Doch bald wurden ihre Hoffnungen zerstört. Sie wurde mit den anderen in Waggons wie die Sardinen gesteckt, mit etwas Brot und nicht viel Wasser mussten sie überleben.
Nach dieser beschwerlichen Fahrt kamen sie nun an ihrem Ziel an, Auschwitz. 48 Stunden lang mussten sie vor dem Tor warten bis sie herein „durften“, da niemand dort Bescheid wusste, dass neue Gefangene kamen. Es waren zwei schlimme Tage, da keiner wusste was nun mit ihnen geschehen würde. Ein anderes Zitat Sylvias lautete „On one side was the ovens and on the other side was life...“, übersetzt: “ Auf der einen Seite waren die Öfen und auf der anderen Seite war Leben…”. Diese schreckliche Aussage zeigt, wie nah Leben und Tod in Auschwitz wirklich aneinander lagen. Sie selbst sagt auch, dass das an was sie sich am besten erinnern kann aus Auschwitz, der Geruch nach menschlichem Fleisch ist. Sie gehörte zu den Deportierten, die in Auschwitz nicht sofort in die Gaskammer kommen sollten, sondern zur Zwangsarbeit vorgesehen waren. Sylvia überlebte auch die durchschnittlich zwei Monate Lebenszeit, die gewöhnlich Zwangarbeitende in Auschwitz am Leben blieben. Schließlich wurde sie im Herbst 1944, als sich mit dem Vormarsch der Alliierten der deutsche Machtbereich immer mehr verkleinerte und erste Transporte nach Auschwitz Richtung Reich gingen, nach dem KZ Bergen-Belsen geschickt. Ihre Tante war ebenfalls dabei.
Als sie aus dem Zug stiegen, wurden sie in LKWS ein Stück gefahren. Danach mussten sie durch den Wald ins KZ laufen. Als sie ankamen meinte ihre Tante zu ihr, dass Bergen-Belsen im Vergleich zu Auschwitz wie Ferien sein wird. Ebenfalls hatte Sylvia das Glück in der Küche arbeiten zu müssen, somit konnte sie Essen stehlen und sich und ihre Tante vor dem Verhungern retten. Bis zum Jahresende 1944 und danach wurden immer weitere Ladungen von neuen Gefangenen in das Lager gebracht, was zur Folge hatte, dass Essen und Räumlichkeiten immer knapper wurden. Die Krankheit Typhus machte die Runde. Auch Sylvia Färber wurde damit infiziert und war für zwei Wochen sehr krank. Laut Sylvia starben die Leute wie Fliegen. Die gemeinen Wachmänner machten die Situation auch nicht besser, da man sogar schon bestraft wurde, wenn man sie nur schräg angeschaut hatte. Essen und Wasser wurden immer knapper und irgendwann gab es gar nichts mehr, dies hatte zur Folge, dass die Menschen, auch Sylvia, nur noch halb bei Bewusstsein waren, weshalb sie sich auch nicht mehr an viel erinnern kann. Dies waren bereits die letzten Tage des NS-Systems, als mit dem Vormarsch der Westalliierten über den Rhein seit März 1945 die NS-Herrschaft auseinanderbrach und damit das KZ-System.
Am 15. April 1945 kamen britische Truppen und befreiten die Menschen aus dem KZ Bergen-Belsen. Sylvia erinnert sich nur noch daran, dass sie von allen Vieren aufstand und aus vollem Halse „ God save the King“ gesungen habe. Sie beschreibt diesen Tag als ihr verspätetes Geburtstagsgeschenk, da sie ja an einem 14. April geboren wurde.
Sie konnte über das Internationale Rote Kreuz Kontakt mit ihrem Bruder Bernhard aufnehmen, der seit 1940 in den USA lebte, wohin er aus England zu Verwandten gelangen konnte. Seit 1941 war er bei der US-Army, 1945 eingesetzt als Dolmetscher in Deutschland bei einer Abteilung des Central Intelligence Service, wie zahlreiche andere jüdische Emigranten. Inzwischen hatte er seinen Namen ohne das typisch deutsche „ä“ auf Farber geändert und den Vornamen in Bernard amerikanisiert. Sylvia Färber konnte ihn im Sommer 1945 noch im nun offenen Lager in Bergen-Belsen in die Arme schließen.
Er und die Verwandtschaft in den USA sorgten dafür, dass Sylvia nach ihrer Befreiung Deutschland verlassen konnte. Im Juni 1946 konnte sie in die USA emigrieren. Sie wohnte in Lexington, Kentucky. Sie schrieb sich in Englisch-Kursen an der „University of Kentucky“ ein, doch konnte sie nicht lange bleiben, da sie arbeiten gehen musste um Geld zu verdienen. Allmählich begann ein normales Leben für sie und sie versuchte die Vergangenheit hinter sich zu lassen, weshalb sie auch alles von sich wies, was mit Deutschland oder der deutschen Sprache zu tun hatte. Sie hasste die Deutschen von ganzem Herzen und mit voller Leidenschaft. Sie versuchte alles zu verdrängen, was aber nur eine Weile funktionierte, wie sie schrieb. Sie heiratete im Januar 1949 und nahm den Namen Green an. Als sie schwanger mit ihrem ersten Kind war, begann sie Albträume zu bekommen. Sie träumte von den Nazis, dass sie versuchten ihr das Kind wegzunehmen. Sie begann nun mit ihrer Familie und ihren Freunden über ihre Erlebnisse zu sprechen, was ihr auch half. Jedoch hatte sie noch lange Zeit danach „Flashbacks“ (psychologisch: Nachhallerinnerung), die sie an die schwere Zeit erinnerten. Seit ihrer Errettung ist sie nun eine sehr religiöse Frau, da sie denkt, dass ihr Leben wegen einem Grund verschont wurde. Diesen Grund hat sie dann auch erkannt, nämlich ihre Kinder, welche ihr neue Hoffnung und Kraft gegeben haben. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, Hitler nicht in ihrem Leben gewinnen zu lassen.
1994 wurde von dem US-amerikanischen Regisseur Steven Spielberg eine gemeinnützige Organisation in den USA gegründet, die sich Shoah Foundation nennt. Vollständig lautet diese: Survivors of the Shoah Visual History Foundation. Sie befasst sich mit Schilderungen von Erlebnissen von Überlebenden des Holocausts, die man auf Video aufnahm, um sie nachfolgenden Generationen als Unterrichts- und Ausbildungsmaterial zugänglich zu machen. Zu den Zeitzeugen gehören rassisch Verfolgte wie Juden, Roma und Sinti, sowie politisch Verfolgte und Angehörige weiterer verfolgten Gruppen. Ebenfalls wurden Interviews geführt mit Soldaten, die an der Befreiung der Lagerhäftlinge teilgenommen haben, sowie auch mit Widerstandskämpfern.
Insgesamt wurden nahezu 52.000 Personen aus 56 Ländern in 32 Sprachen befragt und interviewt. So auch Sylvia Färber im Jahr 1995. Alle Interviews sind in Deutschland nur an der Freien Universität Berlin sowie der Universität Hannover zugänglich. Dort ist Sylvia Green-Färbers Interview einsehbar, in dem sie auch private Familienfotos zeigt, die damit jedoch unzugänglich bleiben.
Über Sylvias und Bernard Färbers weiteren Lebensweg nach 1995, ob sie eventuell inzwischen verstorben sind, liegen keine Informationen vor.
(Linda Gröbel, 11. Klasse Lessing-Gymnasium, August 2013)